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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Autoren: Sennett Richard
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dann, wenn das Verhalten der Eltern nicht dazu ermuntert.
    Wenn wir die frühe Kooperationserfahrung als Proben oder Üben begreifen, so hat das auch den Vorzug, dass dies zu erklären vermag, wie Kleinkinder mit Frustration umgehen. Die Unfähigkeit zu kommunizieren führt zu Frustration, die sich in Greinen äußert, und dabei lernt das Kind, unterschiedliche Arten des Greinens zu erproben – mit einem überraschenden Ergebnis. Bowlby hat herausgefunden, dass Kleinkinder verstärkt zum Greinen neigen, wenn ihr Lautrepertoire sich erweitert, denn nun konzentrieren sie sich auf die Lautbildung selbst und entwickeln größere Neugier darauf. Sie senden nun nicht mehr nur bloße Schmerzsignale aus.
    Ebenso bedeutsam ist die Frage der Struktur und der Disziplin. Beim Proben und Üben sorgt die Wiederholung für eine disziplinierende Struktur. Man geht etwas immer wieder durch und versucht, es besser zu machen. Die mechanische Wiederholung ist aber bereits ein Element des Spiels von Kindern, denen es ja auch Vergnügen bereitet, dieselbe Geschichte in genau derselben Form immer wieder zu hören. Die mechanische Wiederholung ist gleichwohl nur ein Element. Etwa im Alter von vier Jahren erlangen Kinder die Fähigkeit, in dem Sinne zu üben, wie wir dies verstehen, etwa einen Sport auszuüben oder ein Musikinstrument zu spielen. Durch Wiederholung versuchen sie, darin immer besser zu werden.
    Auch Folgen im sozialen Bereich stellen sich ein. Bowlby hat herausgefunden, dass im Kindergarten durch Wiederholung auch Bindungen zwischen den Kindern entstehen, wenn sie gemeinsam und wiederholt experimentieren. Durch eine gemeinsam ausgeführte Gebärde wird zum Beispiel die Frustration beim koordinierten Singen zu einem, wie Bowlby sagt, »vorübergehenden Affekt« und damit nicht zu einem absoluten Hindernis für den Versuch, den Gesang beim nächsten Mal besser zu koordinieren. In vielen anderen Forschungsprojekten hat man herausgefunden, dass Üben im Sinne der häufigen Wiederholung einer Routine zum Zweck ihrer Verbesserung schwerer fällt, wenn man allein arbeitet. Formal ausgedrückt, durch Wiederholung wird Kooperation sowohl nachhaltig als auch verbesserungsfähig.
    Die Entwicklung der Kooperationsfähigkeit kommt im vierten Lebensjahr einen weiteren Schritt voran. Natürlich ist die schematische Zuordnung zu Lebensjahren willkürlich. Die Entwicklung ist elastisch und variiert von Kind zu Kind. Dennoch erlangen Kinder, wie der Psychologe Erik Erikson gezeigt hat, in diesem Alter die Fähigkeit, ihr eigenes Verhalten bewusst zu reflektieren und die Handlung von ihrem Ich zu unterscheiden. 15 In praktischer Hinsicht heißt das, die Kinder sind nun eher zur Selbstkritik in der Lage, ohne dass Eltern oder Gleichaltrige ihnen entsprechende Hinweise geben oder sie korrigieren müssten. Wenn ein Kind das kann, hat es – mit Erikson zu sprechen – die Stufe der »Individuation« erreicht. Im Alter von etwa fünf Jahren werden Kinder zu eifrigen »Revisionisten« und überarbeiten Verhaltensweisen, deren sie sich bislang bedient haben, die aber nun nicht mehr ausreichen.
    Reflexives, selbstkritisches Denken bedeutet nicht notwendig Rückzug von anderen Kindern, denn Kinder können auch gemeinsam reflexiv sein. Ein Beweis, den Erikson für diesen Vorgang beibringt, ist das Spielen. Im Alter von fünf oder sechs Jahren beginnen Kinder, Spielregeln auszuhandeln statt sie, wie im Alter von zwei bis drei Jahren, als gegeben hinzunehmen. Je mehr verhandelt wird, desto stärker wird die wechselseitige Bindung der Kinder im Spiel.
    Vor einem Jahrhundert verwies der Historiker Johann Huizinga in seiner Studie über das Spiel, Homo ludens , auf den Unterschied zwischen der Beachtung von Spielregeln und der Diskussion darüber, wie die Spielregeln beschaffen sein sollten. Für Huizinga waren dies Alternativen, zwischen denen Kinder jederzeit wählen können. Die moderne Psychologie sieht darin hingegen einen Schritt in der Abfolge der kindlichen Entwicklung. Wie es in einer neueren Studie heißt, kommt das bloße Gehorchen in der Entwicklung zuerst und die Fähigkeit zum Aushandeln folgt erst später. 16 Das hat eine tiefgreifende Folge: Die Entwicklung befähigt uns zu wählen, welche Art von Kooperation wir möchten, zu welchen Bedingungen der Austausch erfolgen soll und wie wir kooperieren wollen. Damit findet das Element Freiheit Eingang in die Erfahrung der Kooperation.
    Eriksons entscheidende These hinsichtlich dieses Übergangs
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