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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Autoren: Sennett Richard
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senden sie präzise Signale aus, zum Beispiel, dass in 400 Metern Entfernung Richtung Nordwesten Pollen zu finden sind. Andere Bienen wissen sogleich, wie diese Hinweise zu lesen sind. In der Erfahrung menschlicher Kleinkinder verlieren solche Hinweise zunehmend die Ähnlichkeit mit denen der Bienen. Das menschliche Kleinkind erprobt Gesten, Gesichtsausdrücke, Griffe oder Berührungen, die für Erwachsene eher rätselhaft sind, als dass sie sogleich gelesen und verstanden würden.
    Der Psychologe Jerome Bruner verweist auf die Bedeutung solcher rätselhafter Botschaften als Zeichen kognitiver Entwicklung. Das Kleinkind intendiert hier zunehmend eine eigenständige Bedeutung, wie etwa beim Weinen. Wenn ein Säugling im Alter von zwei Monaten weint, ist das lediglich Ausdruck von Schmerz. Mit der Zeit nimmt das Weinen unterschiedliche Formen an, denn das Kleinkind versucht damit nun etwas Kompliziertes zu sagen, das die Eltern nicht mehr so einfach zu deuten vermögen. Diese Lücke ist im zweiten Lebensjahr fest etabliert und verändert die Bedeutung von »Gegenseitigkeit«. Zwar besteht zwischen Kind und Erwachsenem weiterhin ein Geben und Nehmen, aber sie sind sich nicht mehr so sicher, was da ausgetauscht wird, da der Prozess des Hinweisens komplexer geworden ist. Die Lücke zwischen Übertragung und Aufnahme eröffnet nach Bruner ein »neues Kapitel« in der Bindung zwischen dem Kleinkind und seinen Eltern. 11 Das neue Kapitel ist jedoch kein Desaster. Eltern und Kinder lernen, sich darauf einzustellen, und werden dadurch sogar dazu angeregt, einander noch größere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kommunikation ist nicht zusammengebrochen, sondern komplexer geworden.
    Dennoch können Eltern sich leicht vorstellen, dass Kinder den Garten Eden verlassen haben, wenn sie in das von Benjamin Spock so genannte »schreckliche zweite Lebensjahr« eintreten. 12 Die übliche Erklärung für die zahlreichen Wutausbrüche in dieser Phase lautet, das Kind werde missmutig, wenn es sich körperlich von seiner Mutter trennt. Die Kinderpsychologen D. W. Winnicott und John Bowlby waren die Ersten, die hier ein genaueres Bild zeichneten. In seinen Studien stützte Winnicott sich auf die verbreitete Beobachtung von Eltern, wonach Kleinkinder bei der Stillarbeit mit der Mutter erkennen, dass die Brustwarze der Mutter nicht Teil ihres eigenen Körpers ist. Winnicott zeigte, je mehr Freiheit das Kind erhält, die Brustwarze zu berühren und daran zu saugen, desto klarer wird ihm, dass sie etwas Äußeres, von ihm Getrenntes ist, das nur zur Mutter gehört. Bowlby machte dieselbe Beobachtung hinsichtlich der taktilen Freiheit des Kindes nach dem zweiten Lebensjahr. Je freier das Kind mit Spielzeug interagiert, desto deutlicher erkennt es, dass materielle Dinge ein Eigendasein besitzen. 13 Das Bewusstsein solchen physischen Eigendaseins entsteht auch im Umgang mit anderen Kindern, wenn sie einander schubsen, treten und lecken. Das Kind entdeckt, dass andere Kinder nicht so reagieren, wie es dies erwartet hatte, dass sie etwas Gesondertes darstellen.
    Das Leben des Kleinkinds schafft also eine frühe Grundlage für die Erfahrung von Komplexität und Unterschied. So kommt es, dass Kleinkinder sich nicht »einigeln« – um Robert Putnams Bild aufzugreifen. So abgesondert sie sein mögen, lassen sie sich doch immer stärker auf Interaktion ein. In dieser Hinsicht wollen wir nun auch die Eltern in den Blick nehmen. Nach einer Darstellung sind Zweijährige, deren Eltern ständig mit ihnen sprechen, geselliger gegenüber anderen Kleinkindern und weniger ängstlich gegenüber Bezugspersonen als Kleinkinder mit schweigsamen Eltern. Deren Kinder neigen eher zu sozialer Isolation. Den Unterschied, den die elterliche Stimulation bewirkt, kann man an der stärkeren oder geringeren Aktivierung neuronaler Schaltkreise im Gehirn des Kindes ablesen. 14 Doch auch bei geringer elterlicher Stimulation lässt sich der physische Drang des Kindes nach Austausch mit anderen nicht unterdrücken. Im zweiten Lebensjahr beginnen alle Kinder wahrzunehmen und nachzuahmen, was andere tun. Auch der Lernprozess hinsichtlich materieller Objekte beschleunigt sich, vor allem im Blick auf Größe und Gewicht von Gegenständen und auf die davon ausgehenden Gefahren. Die soziale Fähigkeit, mit anderen Kindern an einem gemeinsamen Projekt wie etwa dem Bauen eines Schneemanns zusammenzuarbeiten, ist bei Kindern im dritten Lebensjahr bereits gut ausgebildet, und zwar auch
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