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Zurueck in die Nacht

Zurueck in die Nacht

Titel: Zurueck in die Nacht
Autoren: Claudia Walter
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Motorrad in die Garage und nähere mich dann
der Haustür, als könnte sie mich beißen. Fast rechne ich damit, dass sie
aufgerissen wird und ich mir selbst gegenüberstehe. Mein Magen zieht sich
unangenehm zusammen, aber alles scheint ruhig. Nirgendwo brennt ein Licht. Also
bin ich vielleicht doch nicht zu Hause.
    Ich
schließe die Tür auf und schlage sie schnell wieder hinter mir zu. Dann gehe
ich die Treppe hoch. Vor der Tür zum Gästezimmer verharre ich unschlüssig. Das
letzte Mal, als ich hier war, lag Clarissa dahinter auf ihrer Matratze. Ich
konnte sie weinen hören. Ich hatte mich gerade für immer von ihr verabschiedet.
Schließlich atme ich tief durch und reiße die Tür auf. Kalte, abgestandene Luft
schlägt mir entgegen, wie von einem Raum, in dem lange niemand war. Ich mache das
Licht an. Das Bett ist nicht bezogen, überall liegt Staub. Clarissa ist nie
hier gewesen. Soweit scheint unser Plan also funktioniert zu haben.
    Ich
schlafe unruhig und wache früh auf. Fast wäre ich mit dem Motorrad zur Schule
gefahren, aber gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass ich das nie tue. Ich
habe eigentlich gar kein Motorrad. Es ist nur eine Leihgabe, noch dazu aus der
Zukunft. Keine Ahnung, was damit passieren wird, wenn ich es mir nun nicht von
meinem Kumpel leihen werde. Löst es sich einfach in meiner Garage in Luft auf?
Oder gibt es es nun doppelt? Plötzlich kann ich es kaum erwarten, zur Schule zu
kommen. Gleichzeitig bin ich nervös. Was ist im letzten halben Jahr passiert?
Wo war ich? Wer bin ich jetzt? Was habe ich verpasst? Werden die anderen etwas
merken? Ich schwinge mich in unseren alten, klapprigen, rostroten Panda und fühle
mich wie der verlorene Sohn, als ich auf dem Parkplatz ankomme und in meiner
üblichen Ecke parke. Fast erwarte ich, dass sich alle Köpfe zu mir umdrehen,
als ich aus dem Auto steige. Doch es passiert nichts Besonderes. Man begrüßt
mich, als wäre ich nie weg gewesen. Keinem fällt auf, dass ich anders bin. Kein
zweiter Mike sitzt auf meinem Platz im Klassenraum oder erscheint plötzlich und
beschuldigt mich, ein Hochstapler zu sein. Und so entspanne ich mich ganz
allmählich.
    Der
Schulvormittag verläuft ereignislos, auch wenn ich den Gesprächen meiner
Freunde nicht immer ganz folgen kann. Ich weiß nicht, von welcher Party sie
sprechen, auf der wir zuletzt zusammen waren, und welche Mädchen sie meinen,
die ich aufgerissen habe, wer beim Rugby gewonnen hat und welche neuen Pärchen
es gibt. Aber irgendwie schaffe ich es, mich um Peinlichkeiten herumzulavieren,
ohne dass jemand Verdacht schöpft, dass der heutige Mike ganz anders drauf ist
als der von gestern. Und ich frage mich die ganze Zeit, was aus diesem meinem
zweiten Ich eigentlich geworden ist.
    Als
es zur Mittagspause schellt, kommt es mir ganz seltsam vor, mit meinen Kumpels
zur Cafeteria zu gehen und an einem Tisch zu sitzen, aber erst, als ich mich
dabei ertappe, wie ich meinen Blick suchend durch den Saal schweifen lasse, fällt
mir auf, warum ich mich schon die ganze Zeit so verloren fühle, als ob mir
etwas fehlt – denn genau das ist es. Nur, dass mir nicht etwas fehlt,
sondern jemand. Clarissa. Denn in der anderen Zeit – der einzigen, die
ich kenne – habe ich die letzten Monate an dieser Schule immer mit ihr
verbracht. Und jetzt ist sie nicht mehr da. Und mir fehlt auch Arik. Zwar hatte
ich in der Schule nicht viel mit ihm zu tun, aber die ganzen letzten Monate ab
November war er immer bei mir. Zuerst in meinen Gedanken und dann tatsächlich. Und
im Vergleich zu dem, was ich mit Arik und Clarissa so alles erlebt und erfahren
habe, kommt mir das Geplapper meiner Freunde ziemlich hohl und oberflächlich
vor. Es geht die ganze Zeit nur um Sport, Partys und wer wann mit wem… Als ob
es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe. Und noch weniger gefällt mir, dass mir
das früher nie aufgefallen ist – weil ich genau so hohl und oberflächlich war?
Kein sehr schmeichelhafter Gedanke.
    „He,
Mike, Mann, hörst du mir überhaupt zu?“
    Ein
unsanfter Rippenstoß reißt mich aus meinen Gedanken und ich schrecke hoch.
„Was?“
    Bruce,
früher (und in dieser Zeit wohl noch jetzt) einer meiner besten Freunde, grinst
mich spöttisch an. „Na, aus was für Träumen habe ich dich denn geweckt? War es
die kleine Rothaarige von letztens oder doch eher unsere hübsche Corinne?“
    Von
den anderen kommen ein paar anzügliche Bemerkungen, aus denen ich schließe,
dass ich offenbar bei der letzten Party sowohl
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