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Zurueck in die Nacht

Zurueck in die Nacht

Titel: Zurueck in die Nacht
Autoren: Claudia Walter
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längst
habe ich die Straße verlassen und stolpere durch Hinterhöfe und Gärten, springe
über Zäune und quetsche mich durch Hecken. Ich höre die Motorräder auf der
Straße neben mir und die Schritte und das Atmen der beiden anderen Verfolger
hinter mir. Sie kommen immer näher. Ich schlage Haken durch Zeit und Raum wie
ein Hase, aber ich merke, dass ich langsam müde werde. Ich muss irgendein
Fahrzeug finden, sonst bin ich verloren. Und Clarissa mit mir.
    Plötzlich kommt
mir eine Idee. Keine besonders gute, aber sie muss reichen. Ich schlage einen
Bogen und nähere mich wieder der Straße. Ich breche durch eine weitere Hecke
(leider voller Dornen), als sich gerade eins der Motorräder nähert. Diesmal
warte ich, bis es fast an mir vorbei ist, dann sprinte ich unter Aufbietung
meiner letzten Kräfte los. Ich laufe kurz neben der Maschine her, spanne meine
Muskeln an – und springe. Wie durch ein Wunder lande ich genau hinter dem
Fahrer, der sofort den Kopf herumreißt. Aber ich bin schneller. In hohem Bogen
fliegt er von der Maschine, die – Oh Wunder! – nicht umfällt, sondern nur kurz
schwankt, bevor ich es schaffe, sie wieder aufzurichten. Sofort gebe ich
Vollgas und rase los.
    Als ich nach
kurzer Zeit nach hinten blicke, sehe ich, dass die zweite Maschine mir folgt.
Und ich hoffe mit aller Kraft, dass die übrigen, jetzt motorradlosen Wächter
nicht auf die Idee kommen, ihre Kameraden im Stich zu lassen und sich auf
Clarissa zu besinnen, sondern dass sie davon überzeugt sind, dass nur ich es
bin, den sie fangen müssen. Ich bin entschlossen, sie so lange wie möglich auf
Trab zu halten.
    Während ich in
die Nacht hinein jage, wird mir nur allmählich bewusst, was das außerdem
bedeutet: Ich habe Clarissa verlassen. Und ich darf sie niemals wiedersehen. Das
einzige, was mich tröstet und mir gleichzeitig wie ein glühender Schmerz in der
Brust sitzt, ist das Bewusstsein, dass sie ein Mensch ist. Menschen sind oberflächliche
Wesen. Sie vergessen. Clarissa wird mich vergessen. Nicht sofort. Aber mit der
Zeit. Umso schneller, weil sie mich ja nach ihren Maßstäben nur kurz kannte,
nur wenige Wochen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Zum ersten Mal in meinem Leben
bin ich dankbar für die Oberflächlichkeit der Menschen. Und ich beneide sie.
Denn im Gegensatz zu ihr werde ich sie niemals vergessen.
     
     
    Clarissa
     
    Ich wartete die
ganze Nacht auf Arik. Ich blieb wie erstarrt im Flur sitzen. Verzweifelt
lauschte ich auf Schritte vor der Tür, ein Klopfen, Atemzüge im Dunkeln –
irgendetwas, das mir zeigte, dass er wieder da war. Aber er kam nicht. Der
Morgen graute kalt und hart. Ich war allein. Als ich die ersten Geräusche aus
der Wohnung im Erdgeschoss hörte, schleppte ich mich wie zerschlagen die Treppe
hoch. Die Wohnung war eiskalt und leer. Niemand war da. Ich war allein. Und
hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde.
    Es ging weiter.
Aber ich bekam nichts davon mit. Amanda und Phil kehrten zurück, braungebrannt
und voll unerträglich guter Laune . Der Alltag begann wieder. Ich ging
zur Schule, nach Hause, aß, trank, machte Hausaufgaben – aber wenn mich jemand
gefragt hätte, was ich aß, trank, lernte, redete, ich hätte ihm keine
Antwort geben können. Auch nicht, wie viel Zeit verging. Oder wo ich gerade
jeweils war. Ich nahm es einfach nicht wahr. Denn in meinem Kopf war nur Platz
für eine einzige Frage: Wo war Arik? Und ich wusste nur eine einzige Antwort:
Nicht bei mir. Und was noch schlimmer war: Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn
finden konnte. Denn je mehr ich mir darüber den Kopf zerbrach, desto mehr wurde
mir bewusst, dass ich so gut wie nichts über ihn wusste. Außer, dass er der
Junge war, ohne den mein Leben leer war. Leer und sinnlos. Und dass er
verschwunden war. Was ich nicht wusste, war alles andere. Ich kannte nicht mal
seinen Nachnamen. Keine Adresse, keine Telefonnummer, kein gar nichts. Keine
Chance, ihn jemals wieder zu finden.
    Geblieben waren
mir nur sein Motorrad, das noch immer an seinem üblichen Platz ein Stück die
Straße hinunter in einem verlassenen Hinterhof stand (das hatte ich gleich am
nächsten Tag überprüft), die schreckliche Ungewissheit, was mit ihm passiert
war (er war einfach wie vom Erdboden verschwunden und die Angst um ihn ließ
mich ihn keine Sekunde vergessen) – und die Träume. Unglaublich schöne Träume. Sobald
ich die Augen zu machte, sah ich ihn. In meinen Träumen wirkte er so präsent,
als wäre alles absolut real. Als
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