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Zurück ans Meer

Titel: Zurück ans Meer
Autoren: dtv
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schaltet auf Rot, und ich muss anhalten. Ich verspreche mir, meinen Kalender durchzusehen und alles zu streichen,
     was mir überflüssig erscheint – Mittagessen aus rein gesellschaftlichen Gründen, Meetings, die ich nicht leiten muss, Partys,
     auf die ich keine Lust habe. Ich werde meinen Schreibtisch von unverlangt eingesandten Manuskripten befreien, erst nachmittags
     ans Telefon gehen und versuchen, für meine Mutter eine Hilfe zu bekommen. Zu merken, dass mir gleich ein paar machbare Lösungen
     einfallen, tröstet mich. Als die Ampel auf Grün schaltet, trete ich etwas fester aufs Gas als nötig. Alles wird gut werden.
     
    Zwei Wochen später schaffe ich es endlich zu meiner Internistin, und das auch nur, weil sie mir kein neues Rezept ausstellen
     will, wenn ich keinen Termin ausmache. Ich bin nie gerne zum Arzt gegangen, und hier halb nackt in dem kalten, sterilen Untersuchungszimmer
     zu sitzen und zu warten, macht mich schier verrückt. Bei Ärzten scheint es zum Geschäftsprinzip zu gehören, Krankheiten bei
     ihren Patienten festzustellen, und da alle mit dem Finger auf meinen Lebensstil zeigen, bin ich mir ziemlich sicher, dass
     auch die Ärztin etwas finden wird, woran sie herumnörgeln kann. Ich höre, wie sich der Türknauf dreht, und wappne mich innerlich.
    Ich habe mich für Dr.   Pressman entschieden, weil sie eine Frau ist, Yoga statt Beruhigungsmittel empfiehlt, intelligent und dabei einfühlsam ist,
     und vor allem, weil sie sterblich scheint. Am besten gefällt mir an ihr, dass sie offenbar stets genug Zeit hat, sich ein
     wenig zu unterhalten; ihre sanften, aufrichtigen Fragen und die Tatsache, dass sie Einzelheiten aus meinem Leben im Gedächtnis
     behält, obwohl ich mich kaum noch erinnern kann, sie ihr erzählt zu haben, beruhigen mich jedes Mal. Diesmal ist es nicht
     anders, und nachdem wir ein paar Minuten geplaudert haben, beginne ich mich zu entspannen. Aber dann kommt sie darauf zurück,
     worum es hier wirklich geht   … meinen Blutdruck. Das letzte Mal, vor ein paar Monaten, war er erhöht, und sie hat mir ein mildes Diuretikum verschrieben,
     mir geraten, mehr Aerobic zu machen, weniger Wein zu trinken und fünf Kilo abzunehmen. Bis auf Aerobic habe ich mich kaum
     an ihre Ratschläge gehalten.
    »Mein Gott, Joan, was haben Sie denn angestellt?«, fragt sie, als die Luft aus dem Messgerät weicht. »Ihr Blutdruck ist höher
     als beim letzten Mal.«
    Ich bemühe mich um einen nonchalanten Ton, obwohl ich die Besorgnis in ihrem Blick wahrnehme.
    »Nichts Besonderes«, meine ich obenhin.
    »Ach?«, murmelt sie, während sie das Ergebnis in meine Patientenakte einträgt. »Sind Sie nicht gerade von einer Lesereise
     zurückgekommen? Wo waren Sie denn diesmal?«
    »Überall im Land. Zum Schluss in Philadelphia. Ansonsten fällt es schwer, einen Ort vom anderen zu unterscheiden.«
    »Tatsächlich?«, sagt sie und äugt mich kritisch über den Rand ihrer Brille an. »Sind Sie schon mal auf den Gedanken gekommen,
     das könnte ein Zeichen dafür sein, dass Sie sich zu viel vornehmen?«
    »Tun wir das nicht alle?«, witzele ich.
    »Nein. Ich meine es ernst, Joan. Diese Werte sind besorgniserregend. Sie müssen sich wirklich Gedanken um IhrePrioritäten machen.« Da ist das Wort schon wieder. Dieses Gespräch klingt allmählich zu vertraut.
    »Tja, einen Gang zurückschalten werde ich kaum können«, blaffe ich zurück. »Heute muss ich noch einen Vortrag in Connecticut
     halten, und mein Terminkalender ist den Herbst über ziemlich voll. Ich kann nicht einfach aufhören und aussteigen.«
    »Dazu sollten Sie sich aber lieber etwas überlegen. Ihr gesamtes Herz-Kreislauf-System ist in Mitleidenschaft gezogen. Die
     Sache ist nicht umkehrbar, lässt sich aber unter Kontrolle halten. Vereinbaren Sie für nächste Woche einen Termin für einen
     Stresstest, und Sie müssen auch mit unserer Ernährungsberaterin sprechen – Ihr Zuckerspiegel sieht ebenfalls verdächtig aus.
     Ich stelle Ihnen ein Rezept aus«, fährt sie fort und reißt ein Blatt von ihrem Block ab. »Ich möchte ein EKG machen. Ziehen
     Sie sich bis zur Taille aus und schlüpfen Sie in diesen Kittel. Meine Sprechstundenhilfe wird gleich bei Ihnen sein.«
    Kurz darauf liege ich flach auf dem Rücken, Elektroden an den Brüsten, am Hals und an den Armen, und starre auf die Neonröhre
     an der Decke, während die Sprechstundenhilfe mit einem Pokergesicht zuschaut, wie die Maschine den Papierstreifen ausspuckt,
     der den
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