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Zug der Traeume

Zug der Traeume

Titel: Zug der Traeume
Autoren: Ruthie Knox
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heftig, versucht freizukommen, also stelle ich ihn wieder auf die Füße und warte, bis er sein Gleichgewicht gefunden hat, ehe ich ihn loslasse.
    Tyler ist wunderbar schmutzig.
    Er trägt farblose Canvas-Hosen, ein halb aufgeknöpftes Arbeitshemd mit bis zu den Ellenbogen hochgekrempelten Ärmeln. Er hat sich ein Halstuch umgebunden, das so verschwitzt und speckig ist, als trage er es schon seit endlosen Tagen der Knochenarbeit. Er hat eine Art Baumwollarbeitsmütze auf mit blauen und schmutzig grauen Streifen.
    Sein Gesicht kann ich nicht sehen, aber er hat Kohlenstaub am Hals und einen Rußfleck am Ohr.
    Ich kann nicht umhin, die Mühe zu bewundern, die er sich gemacht hat. Wo hat er bloß den Kohlenstaub aufgetrieben? Ich stelle mir vor, wie er in das Kohlenlager am Fox River einbricht und auf den Kohlehaufen rumklettert – nur für mich. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich in irgendeinem Badezimmer vorbeugt und genau sein Spiegelbild mustert, während er sich Theaterdreck in sein hübsches Gesicht schmiert.
    Heute Abend ist er der Heizer. Die Big Boy verbraucht auf jeder Fahrt über die Wasatchkette tonnenweise Kohle, und sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass der Brennstoff zu den Motoren gelangt und das Feuer nicht ausgeht. Eine Förderschnecke mit einem Durchmesser von mindestens dreißig Zentimetern transportiert die Kohle vom Tender in den Heizofen, doch sie verklemmt sich. Als ich die oberste Stufe erreicht habe und in die dunkle Höhle des Heizraumes getreten bin, hat Tyler irgendwas von »Scheißklumpen« gemurmelt, das Gesicht zwischen die Stahlflügeltüren der Brennkammer gesteckt.
    Er hat sooo einen riesigen Schraubenschlüssel in der Hand.
    Er hat sooo einen klasse Hintern.
    Ich bin die Lokführerin, habe ich beschlossen. Es ist geschichtlich unwahrscheinlich, aber soll vorgekommen sein. Bei den Western Railways gab es ein paar wenige weibliche Lokführer. Ich habe mich gekleidet, wie es Katharine Hepburn vermutlich getan hätte oder wie Meryl Streep in diesem Film, wo sie die afrikanische Kaffeeplantage hat: Flanellhosen mit hoher Taille und weiten Beinen, eine kurzärmelige elfenbeinfarbene Seidenbluse. Mein Haar habe ich hochgenommen und festgesteckt.
    Ich will ihn herumkommandieren. Ich habe vor, mich von ihm »Boss« nennen zu lassen. Vielleicht als Vergeltung dafür, wie er mich auf der Party behandelt hat, keine Ahnung. Meine Pläne sind ausgefeilt, aber nicht miteinander vereinbar. Ich habe in den letzten paar Wochen so viele geschmiedet. Und so viele verschiedene Gefühle für ihn gehabt.
    Wie sich herausstellt, spielt es keine Rolle. Er dreht sich abrupt um, lässt mit einem ohrenbetäubenden Scheppern, das alle Gedanken mit einem Schlag aus meinem Kopf fegt, den Schraubenschlüssel auf den Boden fallen und stiefelt mit einem anzüglichen Grinsen auf mich zu.
    Wütend, und zwar nicht gespielt.
    Bei dem Anblick rollen sich mir in meinen praktischen schwarzen Stiefeln die Zehennägel hoch. Er ist sonst so souverän. Ich habe ihn noch nie die Kontrolle verlieren sehen, außer beim Sex, wenn er ganz kurz vor einem Orgasmus ist und sein Gesicht vor lustvollem Schmerz leuchtet.
    Das hier ist etwas anderes. Er ist einfach nur stinksauer wegen irgendwas und unfähig, es zu verbergen. Ich sehe gerade den echten Tyler vor mir, ohne Maske. Peinlicherweise werde ich augenblicklich feucht und schäme mich dafür. Allein wie sich sein Mund durch die Kraft seiner Wut nach oben zieht. Die Furche zwischen seinen Augenbrauen. Himmel!
    Ich habe darauf gewartet, habe gehofft, dass so etwas passieren würde. Dass er sich öffnet und mir Zugang zu ihm gewährt. Ich will ihn besser kennenlernen. Selbst die hässlichen Seiten. Ich will alles wissen.
    Er bekommt am Kragen meiner Bluse zwei Fäuste voll Seide zu fassen und reißt sie mühelos auf. Ich weiche immer weiter zurück, von ihm weg, bis ich an die Kante des Fahrersitzes stoße, der nach vorn ausgerichtet ist, bereit für eine Vorwärtsbewegung, die niemals kommen wird.
    Er war noch nie so grob.
    Ich habe keine Angst vor ihm, kein bisschen. Aber die Bedrohung ist greifbar, füllt den Waggon aus und gesellt sich zu uns – dem echten Tyler, dem gespielten, dessen Hemd ihn als
Mack
zu erkennen gibt, meinem wahren Ich, der weiblichen Lokführerin und dieser Schraube der Gewalt, die sich zwischen uns durch die Luft windet.
    So unerklärlich urtriebig.
    Er sagt kein Wort, und auch das sieht ihm nicht ähnlich. Eigentlich ist er gesprächig, Mom würde sagen,
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