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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche
Autoren: Martin Edwards
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Risiko sie eingingen. Doch es machte keinen Sinn, Marc darauf hinzuweisen. Er war in Skelwith Bridge geboren und aufgewachsen und besaß die angeborene Überlegenheit eines Menschen, dessen Familie bereits im Lake District heimisch war, als Wordsworth noch in kurzen Hosen herumlief. Hannah hingegen hatte ihre Kindheit in Lancaster und Morecambe verbracht, was für einen eingeborenen Lake-Districtler fast schon als Ausland galt. Die umliegenden Gipfel waren ihr nur ansatzweise geläufig, und Marc machte sich oft darüber lustig, dass sie den Ill Bell kaum vom Great Gable unterscheiden konnte.
    »Aber sobald wir am Schlangenweiher sind, kehren wir um, ja?«
    »Einverstanden.«
    Im Weitergehen erkannte sie dreißig Meter über ihren Köpfen die Umrisse eines extravaganten grauen Gebäudes. Es war etwa sieben Meter hoch und hatte die Form eines schmalen Schiffsschornsteins, bestand allerdings aus Stein und war oben mit Zinnen bewehrt. Mitten im Niemandsland erfüllte es keinen anderen Zweck, als dass man zu ihm hinauf-und von ihm hinunterblicken konnte.
    Der Schlangenturm stammte aus viktorianischer Zeit; ein reicher Grundbesitzer hatte ihn als Marotte erbauen lassen. Inzwischen gehörte das Plateau der Cumbria Culture Company, die es Autoren ermöglichte, im Turm aus ihren Werken zu lesen, und Sängern, dort zu musizieren, obwohl das Gebäude nur wenig Platz für Publikum bot. In Reiseführern war nachzulesen, dass der Schlangenturm bis auf die eingemeißelten Umrisse zweier verschlungener Schlangen über der Tür nichts mit Schlangen zu tun hatte. Der Name kam daher, dass man von dort aus einfach die beste Aussicht auf den Schlangenweiher hatte; im Augenblick aber war kein Wasser zu sehen.
    Einmal waren sie zusammen auf den Turm gestiegen. Der Anblick der Langdale-Gipfel war atemberaubend gewesen. Allerdings musste man, um auf den Turm zu gelangen, einen steilen Abhang erklimmen, und der diesige Nachmittag war für schöne Ausblicke absolut nicht geeignet. Seitdem sie den letzten Bauernhof hinter sich gelassen hatten, war ihnen keine Menschenseele mehr über den Weg gelaufen. Falls sie sich im sinkenden Nebel verirrten und die Bergwacht rufen mussten, würde man sich im Kommissariat wahrscheinlich das Maul zerreißen.
    Hannah beschleunigte den Schritt und folgte Marc entlang der Kante einer kleinen Schlucht, die mit moosbedeckten Steinen in der Größe von Tennisbällen übersät war. Wanderführer bezeichneten die Strecke als leicht und selbst für Großmütter geeignet, doch Hannahs Wadenmuskeln schmerzten bereits.
    »Wir sind fast da«, sagte Marc.
    Sie holte auf, hakte ihn unter und ließ den Kopf hängen. Gemeinsam durchquerten sie eine Gruppe kahler Eichen. Keuchend passte sie ihre Fortbewegung seinen langen Schritten an. Bald schon befanden sie sich wieder in offenem Gelände.
    Vor ihnen erstreckte sich ein mit Gras bewachsener Absatz, der bis zu den Felsen des Bergkamms und dem Schlangenturm reichte. Das Gelände war nichtssagend, bis auf eine kleine, unregelmäßig geformte Wasserfläche. Man musste schon um die Ecke denken, um in dem Gewässer den gewundenen Umriss einer Schlange zu erkennen, doch die Menschen im Lake District hatten schon immer viel Fantasie, was Ortsbezeichnungen anging.
    Am Ufer des Teichs blieben sie stehen.
    Sie waren am Ziel, am Schlangenweiher.
    Vor sechs Jahren hatte man hier Bethany Friends Leiche gefunden.
***
    In der zugehörigen Akte in Hannahs Büro stand, dass der Schlangenweiher zu keiner Jahreszeit mehr als etwa sechzig Zentimeter Tiefe aufwies. Hannah hatte die Akte von vorne bis hinten studiert und sich die wichtigsten Punkte genau gemerkt. An dem Tag, als Bethany Friends gefesselte Leiche von einer Gruppe Bergwanderer entdeckt worden war, maß man genau fünfundvierzig Zentimeter Wassertiefe. Die junge Frau hatte mit dem Gesicht nach unten im Wasser gelegen.
    Gedankenverloren standen Hannah und Marc am aufgeweichten Ufer.
    »Man sollte nicht meinen, dass eine erwachsene Frau in derart niedrigem Wasser ertrinken kann«, murmelte Marc.
    Hannah wirbelte herum und starrte ihn an.
    »Du weißt von Bethany Friend?«
    Die dunkle Wasserfläche schien ihn zu hypnotisieren, als sei es möglich, die Lösung eines ewigen Geheimnisses zu finden, wenn er nur lange genug hinschaute.
    Er nickte.
    »Wie hast du davon erfahren?«
    Sein Blick wich nicht von der Stelle. »Und du?«
    »Es gehört zu meinem Job, solche Dinge zu wissen.«
    »Du hast nie von Bethany gesprochen, als wir dieses Haus
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