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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche
Autoren: Martin Edwards
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zu verstehen gegeben, dass er keinen Wert darauf legte, in näherer Zukunft Vater zu werden. Nur keine Hast, wir haben alle Zeit der Welt. Hannah war sich allerdings nicht sicher, ob es für ihn je den richtigen Zeitpunkt geben würde.
    Was ihre Vorsätze für das neue Jahr anging, so war sie nicht ganz ehrlich gewesen. Zumindest hatte sie eine Entscheidung getroffen, die mit Daniel Kind zu tun hatte. Daniel war der Sohn von Ben, ihrem früheren Chef. Er hatte als Historiker in Oxford gelehrt und war in den Lake District gezogen, nachdem die glitzernden Preise ihren Glanz verloren hatten. Hannah mochte Daniel sehr gern - so gern, dass es sie verwirrte. Manchmal, wenn sie sich eine Träumerei gestattete, schien es ihr, als ob sich in Gesprächen mit ihm eine Tür einen Spaltbreit öffnete und sie durch diesen Spalt einen Blick auf einen ungewohnten Raum voller Licht erhaschte. Gerne hätte sie diesen Raum weiter erkundet, doch sie war zu vorsichtig, um wirklich durch diese Tür zu gehen - schließlich bestand die Gefahr, sie könnte zuschlagen und sie dann in einer unbekannten Welt gefangen halten.
    Sie musste Daniel Kind aus ihren Gedanken streichen und ihre Tagträume entsorgen wie benutztes Geschenkpapier. Der Geschichtsprofessor musste Geschichte werden.
    Der Abschiedsschmerz dürfte nicht allzu schwer erträglich sein, denn sie hatten einander seit dem Frühjahr nicht mehr gesehen. Von Liverpool aus war er nach Amerika aufgebrochen; angeblich hatte man ihm einen kurzfristigen Vertrag auf einem Kreuzfahrtschiff angeboten, wo er Gespräche moderieren sollte. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob er überhaupt je zurückkehren würde, obwohl er ihr versichert hatte, dass er sich in den Lake District verliebt habe und eigentlich nie wieder von dort wegwollte. Von Miranda, der Journalistin, mit der er ein Cottage in Brackdale gekauft hatte, war er inzwischen getrennt. Während seiner Abwesenheit hatten sie ein paar E-Mails ausgetauscht - mehr nicht. Hannah hatte selbst Schuld. Auf seine letzte Mail hatte sie nicht geantwortet, weil sie rund um die Uhr mit einem Fall beschäftigt war.
    Sie musste aufhören, ihre Zeit zu vergeuden. Vermutlich hatte Daniel längst einen Ersatz für Miranda gefunden. Im Übrigen würde es mit ihnen ohnehin niemals klappen. Wie könnte sie je mit der Schuld leben, Marc den Laufpass zu geben? Genug der Träumerei! Sie sollte lieber das genießen, was sie hatte!
    Die Umgebung wurde wilder. Felsen, totes Farnkraut und unbelaubte Bäume bildeten eine winterliche Kulisse. Je höher sie kletterten, desto stärker wurde der Wind. Hannah hatte sich sorgfältig in mehrere Lagen Kleidung gepackt, doch trotz einer aufgesetzten und festgezurrten Kapuze biss die Kälte unbarmherzig in jedes unbedeckte Stück ihrer Haut. Nebelschwaden wogten über die höher gelegenen Hänge. Irgendwo in der Ferne hörte sie einen klagenden Schrei - einen melancholischen Laut, als betrauerte ein unsichtbarer Bussard das Ende des alten Jahres.
    Hannah fröstelte. Sie erreichten einen kleingewachsenen Wacholderbusch mit grüngelben, stachligen Nadeln. Es sollte gegen böse Geister helfen, sich einen Wacholderzweig vor die Tür zu hängen - aber wenn sie schon nicht an Horoskope glaubte, warum sollte sie sich dann um Ammenmärchen kümmern? Ihr neues Haus würde sicher auch so zu einem glücklichen Heim. Marc hatte recht: Der Umzug nach Undercrag war ihre Chance für einen kompletten Neustart.
    »Sollen wir umkehren?«, fragte sie.
    Marc schritt entschlossen vorwärts. Hannah strengte sich an, auf gleicher Höhe zu bleiben, und sah, wie er den Kopf schüttelte.
    »In fünf Minuten sind wir da.«
    Marc wechselte niemals die Richtung, ehe er nicht sein Ziel erreicht hatte; das lag in seinem Charakter. Vor vielen Jahren waren sie in einem Mietwagen auf Malta zwei Stunden lang im Kreis gefahren, weil er sich geweigert hatte, einen Passanten nach dem kürzesten Weg nach Mdina zu fragen. Als sie schließlich ankamen, war es so spät, dass ihnen nur fünf Minuten in der »Stillen Stadt« blieben, ehe sie sich in aller Eile auf den Weg zum Abendessen im Hotel machen mussten. Aber daran durfte sie ihn nicht erinnern, wenn sie den Nachmittag nicht verderben wollte.
    »Wir sollten auf den Nebel achten.«
    »Wir sind nicht hoch genug, als dass es gefährlich werden könnte. Schließlich ist das hier nicht der Blencathra.«
    Schon richtig, aber jedes Jahr gerieten Leute in Schwierigkeiten, ohne dass ihnen überhaupt klar wurde, welches
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