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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche
Autoren: Martin Edwards
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Himmel wirkte wie aufgeschrammt. Fahlgelbe Flecke wechselten sich mit purpurnen Streifen ab. Hannah stand noch vor der Hintertür von Undercrag und starrte nach oben, während Marc sich bereits aufmachte. Die Farben erinnerten sie an die Wangen eines Opfers häuslicher Gewalt.
    Solche Assoziationen gehörten zu den Nachteilen des Polizeiberufs. Vor der Brutalität, die Menschen einander antaten, schien es kein Entkommen zu geben. Dieses Wissen rief häufig einen tiefen Pessimismus hervor, der selbst die unschuldigsten Gedanken verdarb.
    Marc drehte sich um und winkte ihr zu. Es würde nicht lange dauern, bevor sich seine gute Laune in Ungeduld verwandeln würde. »Kommst du?«
    »Tut mir leid«, formte sie lautlos mit den Lippen. »Ich bin gleich bei dir.«
    Undercrag war das letzte von fünf Häusern - zwei davon hatte man zu Feriencottages umgebaut -, die verstreut an einer langen, kurvigen, einspurigen Straße namens Longbarrow Lane lagen. Bis in die 1930er-Jahre hatten sie die Stationen, Büros und die Wäscherei eines in ebenem Gelände am Fuß der Berge gelegenen ländlichen Sanatoriums beherbergt, in dem Kranke dank der guten Luft wieder zu Kräften kommen konnten. Nach dem Krieg war das Anwesen zu einer Schule umfunktioniert und nach deren Scheitern aufgeteilt und als Privathäuser verkauft worden. Hannah und Marc wohnten kaum drei Kilometer von Ambleside entfernt, doch der Ort war aus der Entfernung nicht zu sehen, und der steinige Wendehammer am Ende der Longbarrow Lane wirkte wie die Rückseite des Jenseits.
    Marc wartete am Viehgatter auf sie. Misstrauisch beobachtete er eine Frau, die ihnen in Begleitung eines lebhaften Labradors entgegenkam; schon beim Anblick von Hunden brach ihm der kalte Schweiß aus. Als Hannah ihn erreichte, griff sie nach seiner Hand. Ein Stück weiter wurde aus dem Sträßchen ein matschiger Pfad, der an einem einsamen Bauernhaus, einer Scheune und einem Schafspferch aus Stein vorbeiführte. Nach einem völlig überflüssigen Schild mit der Aufschrift UNGEEIGNET FÜR MOTORFAHRZEUGE teilte sich der Weg an einer Brücke, die über den Bach führte. Nach dem vielen Regen der letzten Zeit hatte der Bach es sehr eilig, talwärts zu strömen, und der Wasserstand war so hoch, wie Hannah ihn noch nie erlebt hatte. Ein Reitweg führte am Ufer entlang, während der Weg über die Brücke in Richtung der unteren Berghänge weiterging. Der Anstieg zum Schlangenweiher war nicht sehr anstrengend, tat aber nach dem übermäßigen Genuss von Gayles selbst gebackenen Plätzchen sicher gut.
    Der Pfad wand sich zwischen Ginsterbüschen und einem kleinen Hain aus Bergeschen, Erlen, Birken und wilden Kirschen empor, vorüber an einer zerfallenen Hütte und einer bescheidenen Steinpyramide. Für eine weiße Weihnacht war es - abgesehen von den Hochlagen - viel zu mild gewesen, doch der reichliche Regen hatte den Boden durchweicht und schlüpfrig werden lassen. Ihre Stiefel glitten im Matsch aus, und Hannah tastete sich mit der Vorsicht einer Siebzigjährigen vorwärts. An einem feuchten Tag im Lake District konnte selbst eine kurze Wanderung gefährlich werden.
    »Wir sollten nicht weitergehen«, keuchte sie zehn Minuten später. Als sie über den aus einer Eisenleiter bestehenden Zaunübertritt kletterte, knackten ihre Gelenke. Sie musste unbedingt die Mitgliedschaft in diesem blöden Fitnessstudio erneuern. Wie schaffte Marc es bloß, so schlank zu bleiben, nachdem er bei seiner Schwester mit so viel Appetit gegessen hatte? Möglicherweise lag es an seiner nervösen Energie. Nur selten saß er mehr als zehn Sekunden still; die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen hatte sie seit ihrer ersten Begegnung angezogen. Manchmal aber fragte sie sich, was ihn zu dieser Rastlosigkeit trieb.
    Marc schob seine Wollmütze über die Stirn nach oben und grinste sie an.
    »Vielleicht sollten wir beide eines Tages einfach einmal zu weit gehen.«
    Hannah kam wieder zu Atem.
    »Träum weiter!«
    Der spielerisch geäußerte Satz spielte auf den Beginn ihrer Beziehung an. Sie brauchten einfach mehr Zeit zu zweit, und zwar ohne Ablenkung. Viel zu oft kam Hannah sehr spät nach Hause, und wenn sie frei hatte, war Marc häufig mit Inventur beschäftigt oder stellte sein Sortiment auf einer Büchermesse in irgendeiner weit entfernten Stadt aus. Früher einmal hatte sie gedacht, dass ein Kind sie enger zusammenbringen könnte, doch nach ihrer ungeplanten Schwangerschaft und der anschließenden Fehlgeburt hatte Marc ihr deutlich
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