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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3]
Autoren: Bastei Lübbe
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war leer, ihn befiel ein taubes Gefühl.
    Haydens Diener erschien an der Reling. »Wenn es Ihnen recht ist, Kapitän, Rosseau hat Kaffee für Sie in der Offiziersmesse, Sir.«
    »Aha – suchen Sie Mr Hawthorne und fragen Sie ihn, ob er mir Gesellschaft leisten möchte«, trug Hayden dem Burschen auf. Archer stand derweil steif neben dem Rudergänger und beobachtete Hayden. »Sie haben das Deck, Leutnant.«
    Als Hayden den Fuß des Niedergangs erreicht hatte, sah er, dass man die Schotten im Kanonendeck entfernt hatte: Man hatte nun freien Blick vom Bug bis zum Heck, was natürlich bedeutete, dass auch Haydens Kajüte mitsamt Möblierung aufgelöst worden war. Auf beiden Seiten standen die Achtzehn-Pfünder in langen Reihen mit ihren schwarzen Läufen vor den Stückpforten, geladen und bereit zum Ausrennen.
    Einen Moment lang blieb Hayden stehen, versuchte sich zu konzentrieren und überlegte, ob er auch an alles gedacht hatte.
    Über die nächste Leiter gelangte er dann in das darunter liegende Deck, wo die Seesoldaten schlummerten. Hayden sah, dass viele Männer gar nicht schliefen, da die Aufregung vor einem möglichen Gefecht zu groß war. Die Midshipmen gaben nicht einmal vor, zu schlafen, sondern spielten Karten vor einer einsamen Laterne. Als sie ihren Kapitän gewahrten, sprangen sie auf und tippten sich an die Stirn, da sie ihre Hüte abgelegt hatten. Hayden ging rasch an ihnen vorbei und betrat die Offiziersmesse.
    An einem Tisch saß der Schiffsarzt, hatte sich seinen Zwicker auf den Nasenrücken geklemmt und las, leicht vornübergebeugt, in einem großen, in Leder gebundenen Buch. Im warmen Schein der Kerze wirkte Griffiths’ vorzeitig ergrautes Haar silbrig.
    »Dr. Griffiths, gönnen Sie sich doch mehr Licht«, bot Hayden an. »Nein, nein, bleiben Sie nur sitzen.« Allzu oft hatte Hayden mit ansehen müssen, wie der große, hagere Doktor sich den Kopf an einem der Decksbalken gestoßen hatte.
    »Oh, ich bin ohnehin gleich fertig hier, Kapitän.« Der Schiffsarzt nahm seine Brille ab, die er nur zum Lesen und für sein Handwerk brauchte – das Amputieren von Gliedmaßen –, damit er Hayden besser sehen konnte.
    »Fühlen Sie sich bitte nicht gedrängt, die Messe zu verlassen, Doktor.«
    »Danke, Sir.« Griffiths’ Blick haftete auf Hayden. »Geht es Ihnen gut, Kapitän?«
    »Abgesehen von beunruhigenden Neuigkeiten würde ich sagen, ja.«
    Da Hayden keine Anstalten machte, auf diese Neuigkeiten einzugehen, beließ der Doktor es bei der einen Frage. Eine Weile sagte keiner der beiden etwas, doch schließlich deutete der Schiffsarzt mit einem Kopfnicken auf das aufgeschlagene Buch. »Bei Gott, ich muss bekennen, dass ich mehr von der Medizin vergessen habe, als mir lieb sein kann.«
    Hayden war froh, das Thema wechseln zu können. »Die Medizin ist ein weites Feld, Doktor. Man bräuchte sicherlich zwei Köpfe, wollte man sich das alles merken.«
    Der Schiffsarzt rieb sich die Augen. »Sehr freundlich von Ihnen, Kapitän. Ich fürchte, es ist das Alter, zumindest in meinem Fall. Der übliche Verschleiß, insbesondere die ersten Abnutzungserscheinungen, die unser vernunftbegabtes Organ an den Tag zu legen beginnt, wenn es ständig bis an seine engen Grenzen gehen muss.«
    »Ich bitte Sie, Doktor, Ihr Verstand ist so klar wie an jenem Tag, als wir einander zum ersten Mal sahen. Vielleicht könnte etwas Anregendes nicht fehl am Platze sein. Möchten Sie etwas Kaffee?«
    »Ich weiß nicht, wie ich meine Dankbarkeit in Worte fassen soll.«
    Draußen kündigten knarrende Geräusche der Leiter und dröhnende Schritte Mr Hawthorne an, den Leutnant der Seesoldaten. Er hatte eine frische Gesichtsfarbe und erfreute sich trotz der Uhrzeit und der Umstände bester Laune. »Habe ich das richtig gehört, dass Kaffee im Salon serviert wird?«, scherzte er.
    »Zur Matinee«, erwiderte der Schiffsarzt, »wenn man bedenkt, wie spät es schon ist.« Zu Hayden gewandt, sagte er: »Ist Ihnen je aufgefallen, wie gut gelaunt unser Leutnant vor einem Gefecht ist? Man könnte meinen, er ist auf dem Weg zu einem Ball, erfüllt von prickelnder Vorfreude, die jungen Damen kennenzulernen.« Er suchte den Blick des Leutnants. »Eines Tages trägt man Sie zu mir ins Lazarett mit einer Kugel im Bein, und dann werden Sie nicht mehr so gute Laune verbreiten.«
    Hawthorne lachte schallend. »Da haben Sie wohl recht, Dr. Griffiths, aber was hätten wir davon, wenn ich vor jedem Kampf mürrisch und ängstlich wäre? Ich hebe mir meine
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