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Zorn

Zorn

Titel: Zorn
Autoren: John Sandford
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jedem Soul-Asylum-Konzert im Seventh Street Entry. Nachts auf Streife bei den Crackhuren haben wir ›Like a Virgin‹, ›Crazy for You‹ und ›Little Red Corvette‹ gehört. Ein heißer Sommer, und Madonna war noch jung.«
    »Wie wir«, bemerkte einer der älteren Polizisten. »Ich hab damals gern getanzt.«
    Ein anderer fragte: »Was wollen Sie jetzt machen?«
    »Den Kerl aufspüren«, antwortete Lucas. »Nicht auszudenken, was der Typ bis heute alles verbrochen haben könnte.«
    Lucas kehrte ins SKA-Gebäude im nördlichen Teil von St. Paul zurück. Es handelte sich um ein solides, modernes Bauwerk, das eher einem Bürokomplex in den Vororten ähnelte als einem Polizeihauptquartier. Auf der Treppe zu seinem Büro im ersten Stock winkte Lucas einem Kollegen zu.
    »Hallo, ich brauche …«, begrüßte ihn seine Sekretärin.
    »Später«, sagte er, betrat sein Zimmer und schloss die Tür.
    Das Bild der toten Mädchen ging ihm nicht aus dem Kopf; ihr erstarrtes Lächeln schien ihn zu fragen, was er zu tun gedenke.
    Lucas zog einen Papierkorb zum Schreibtisch heran, legte die Füße darauf, kippelte mit dem Stuhl zurück, schloss die Augen und ging im Kopf die damaligen Ermittlungen durch, so gut er konnte.
    Und kam zu dem Schluss, dass er seinerzeit den größten Fehler seiner Laufbahn gemacht hatte – obwohl manche seiner späteren Aktionen faktisch ungesetzlich gewesen waren. Ungesetzlich, aber nicht unmoralisch wie im Fall Jones: Er hatte einfach aufgegeben.
    Er war jung und unerfahren gewesen, hatte zum Kriminalamt gewollt, seine Chance ergriffen und sich an Quentin Daniel drangehängt, einen ziemlich gewieften und charakterlich nicht immer einwandfreien Mann. Daniel hatte Polizeichef werden wollen, vielleicht sogar Bürgermeister.
    Der Fall Jones hatte einen üblen Beigeschmack gehabt, und Daniel hatte als Leiter der Mordkommission auf dem Schleudersitz gesessen. Er hatte sich bei den Ermittlungen streng an die Vorschriften gehalten, doch sobald ein Verdächtiger aufgetaucht war, jemand, der sich nicht verteidigen konnte und gegen den erhebliche Verdachtsmomente vorlagen, hatte Daniel ihn sich geschnappt und nicht mehr losgelassen.
    Dann war der Verdächtige getötet worden, und sobald das geschieht, gehört er einem, auf Gedeih und Verderb. Wenn er unschuldig war, kann dies das Ende der Karriere bedeuten; war er schuldig, ist es gut gelaufen.
    Lucas hatte Scrape schon damals nicht wirklich für schuldig gehalten, und jetzt konnte er noch weniger an seine Schuld glauben. Er hätte beharrlicher sein müssen, hätte der Star Tribune mehr Informationen zukommen lassen, das Urteil gegen Scrape öffentlich anzweifeln können … Aber all das hatte er nicht getan.
    Er hatte ein wenig herumgeschnüffelt, jedoch als jüngstes Mitglied von Daniels Team nicht viel zu sagen gehabt. Daniel war nicht so dumm gewesen, ihm die Fortführung der Ermittlungen zu untersagen, hatte sich aber über seine Bemühungen lustig gemacht und ihn in der Zeit des Crackfiebers mit Routineaufgaben auf Trab gehalten. Und am Ende hatte Lucas den Fall Jones aufgegeben.
    Der Himmel allein wusste, was der Mörder danach noch getrieben hatte. Im besten Fall hatte er es mit der Angst zu tun bekommen und nie wieder ein Verbrechen begangen. Doch Lucas fürchtete, dass seine … Nachlässigkeit … es dem Killer ermöglicht hatte, weitere Kinder zu entführen und zu ermorden. Denn das taten solche Leute für gewöhnlich, wenn sie erst einmal Blut geleckt hatten.
    Düstere Schatten legten sich über Lucas’ Gedanken. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, einmal, zweimal, wieder und wieder, um sie zu verjagen.
    Aber die Jones-Mädchen waren wieder da; er konnte sie nicht einfach ignorieren.

DAMALS

ZWEI
    Lucas Davenports korpulenter Partner warnte ihn: »Pass auf, er kommt.« Dann zog er seinen Schlagstock, und Lucas hatte Zeit, sich innerlich vorzubereiten, bevor Carlos O’Hearn heranstürmte, durch den Gestank von verschüttetem Bier und Hotdogs mit Sauce, die Barhocker umwarf wie Kegel, eine Bierflasche in der rechten Hand, während der Barkeeper stöhnend zurückwich. »O nein …«
    O’Hearn schleuderte die Flasche aus etwa drei Metern Entfernung in die Richtung von Lucas’ Kopf. Lucas wich aus, so dass die Flasche auf der Theke entlangschlitterte und Gläser, Aschenbecher und Besteck mitriss. Es hörte sich an, als hätte jemand ein riesiges Tablett fallen lassen. Eine Frau schrie eher interessiert als entsetzt auf. Lucas bekam das nur
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