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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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handelte.
    Zorn blickte sich um.
    »Ich denke schon. Jedenfalls sehe ich niemanden hier, außer uns beiden.«
    Der Mann mit der Lampe kam näher.
    »Danke.«
    »Wofür?«
    »Es gibt sonst niemanden, der mit mir redet.«
    Er sprach langsam, schleppend, als sei er ein wenig zurückgeblieben. Bunte Plüschtiere waren an seinem Rucksack befestigt. Dutzende Teddys, Hasen, kleine Puppen, lustige Plastiktrolle mit blauen Haaren bewegten sich gemächlich im Takt seiner Schritte. An seinem Gürtel baumelten Ketten, dünne Riemen und Stricke, an denen er allerlei Werkzeug, Schlüssel und anderen Kram festgemacht hatte.
    »Was machst du hier?«, fragte er.
    »Ich arbeite.«
    »Wo, hier?«
    »Nein.« Zorn, dem das Ganze langsam unangenehm wurde, wies mit dem Daumen über die Schulter. »Dort.«
    »In dem großen Haus? Was machst du da?«
    »Ich fange Verbrecher.«
    »Oh!« Die Augen des Mannes weiteten sich. Sie waren dunkel, fast schwarz. »Gott jagt auch Verbrecher. Das hat er mir selbst gesagt. Er redet nämlich manchmal mit mir.«
    Zorn musste lächeln.
    »Dann bin ich also doch nicht der Einzige, der mit dir spricht.«
    »Nein«, nickte der Mann. »Das bist du nicht. Hast du Geld? Kannst du mir Geld geben?«
    Zorn tat, als müsse er überlegen.
    »Wofür? Brauchst du was zu essen?«
    »Essen?« Der Mann mit dem Bart lachte, als habe Zorn nicht alle Tassen im Schrank. »Ich brauch doch kein Essen! Gott gibt mir Essen!« Dann wurde er ernst. »Nein, für meine Lampe.« Er tippte sich an die Stirn. »Die Batterie ist alle, ich will eine neue.«
    Zorn sah zum Himmel. Die Wolken waren dichter geworden.
    »Ist es denn nicht hell genug?«
    »Nein«, der andere schüttelte so heftig den Kopf, dass das Metall an seinem Gürtel klapperte. »Ist es nicht. Es ist dunkel. Jetzt sehe ich nur ein bisschen, aber wenn die Lampe an ist, sehe ich alles. Ich bin nämlich der Lampenmann, verstehst du?«
    Das tat Zorn natürlich nicht, aber er nickte trotzdem.
    »Was ist mit denen?« Er wies auf den Gürtel des Lampenmanns, dort hingen zwei Stabtaschenlampen.
    »Das sind meine Ersatzlampen. Aber die am Kopf muss immer brennen«, erklärte der Lampenmann wichtig. »Sie muss funktionieren.«
    Das letzte Wort schien ihm Schwierigkeiten zu bereiten, er sprach es langsam aus, jede einzelne Silbe betonend.
    Funk-ti-o-nieren.
    Zorn, der jetzt wirklich wieder loswollte, kramte in seiner Hosentasche und reichte ihm einen Fünfeuroschein. Der Lampenmann faltete ihn sorgfältig zusammen und verstaute ihn dann in seiner Jacke.
    »Du darfst jetzt gehen«, sagte er dann. »Danke, dass du mit mir geredet hast.«
    Zorn nickte und zwängte sich durch die Hecke. Als er dann über den Parkplatz lief, hörte er den Lampenmann rufen: »Danke, dass du mit mir geredet hast! Du bist ein guter Mensch!«
    Wenn du das sagst, wird’s wohl stimmen, dachte Zorn und betrat das Präsidium.
    Der Lampenmann sah ihm einen Moment nach.
    »Du bist ein guter Mensch!«, rief er noch einmal, so laut er konnte.
    Dann ging er langsam davon.

Drei
    Ich werde versuchen, dich zu schützen.
    Ein Windstoß fuhr durch die geborstenen Fensterscheiben, feiner Nieselregen wurde hereingeweht. Es war kalt, doch das störte ihn nicht. Der Schmutz war schlimm, aber das nahm er in Kauf. Er musste Kompromisse eingehen. Dies war sein Ort. Sein geheimer Raum, mitten in der Stadt und doch verborgen vor fremden Blicken, als befände er sich auf einem anderen Planeten.
    Einer ist schon tot. Wie es aussieht, wird er nicht der Letzte sein.
    Er schrieb langsam, Wort für Wort, Buchstaben für Buchstaben. Jede Linie sorgfältig nachzeichnend, als würde er keinen Brief, sondern eine technische Zeichnung anfertigen.
    Dir wird nichts geschehen. Das werde ich verhindern.
    Der Tisch, an dem er saß, bestand aus einer verzogenen Hartfaserplatte, die er quer über zwei schiefe Klappböcke aus Kiefernholz gelegt hatte. Leise kratzte der Bleistift auf dem Papier.
    Aber du wirst mir helfen müssen.
    Er wusste nicht, ob er den Brief abschicken würde, doch das war im Moment egal. Vielleicht würde er es irgendwann tun. Dann, wenn alles vorbei war. Wichtig war, dass er seine Gedanken aufschrieb, dass er das, was er bereits getan hatte, und das, was noch vor ihm lag, schwarz auf weiß vor sich sah. So bekamen seine Pläne etwas Konkretes.
    Niemand wird mir etwas …
    Ein Knacken, die Spitze des Bleistifts brach ab. Ohne den Blick vom Papier zu wenden, griff er nach einem neuen auf der Platte neben sich.
    … nachweisen
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