Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
Vom Netzwerk:
kämmen. »Wenn man von Selbstmord ausgeht, könnte er sich von der Brücke gestürzt haben, die Strömung hätte ihn in dieser Zeit ziemlich genau zu der Stelle treiben müssen, an der er gefunden wurde.«
    Zorn nahm die Brille ab und überlegte einen Moment. Dabei kaute er nachdenklich auf dem Bügel, etwas, das er sich angewöhnt hatte, wenn er nachdenken musste und dabei nicht rauchen konnte. Die Bissspuren waren mittlerweile deutlich zu erkennen.
    »Er ist also gesprungen und hat sich dabei in den Schädel geschossen? Warum?«
    »Um sicherzugehen.«
    »Möglich«, nickte Zorn. »Er könnte aber genauso gut vorher erschossen worden sein. Dann hat man ihn zur Brücke gebracht und die Leiche über’s Geländer geworfen.«
    »Das sollten wir bald herausfinden, Chef. Ich habe die Brücke absperren lassen, die Spurensicherung arbeitet schon dran. Die Anwohner werden ebenfalls befragt, irgendjemand muss ja den Schuss gehört haben. Vielleicht gibt’s auch einen Augenzeugen.«
    »Gut, dann ist ja erst mal alles geklärt.« Zorn erhob sich schwerfällig und streckte den Rücken. »Ich geh dann eine rauchen.«
    »Das«, erklärte Schröder heiter, »wollte ich dir gerade vorschlagen, Chef.«
    *
    Zorn hastete über den Parkplatz, im Laufen knöpfte er seine Jeansjacke zu. Früher hatte er sich zum Rauchen gleich auf die Bank vor dem Haupteingang gesetzt, doch irgendwann war ihm klargeworden, was für ein Bild er abgeben musste: Ein müder Staatsdiener, der einen großen Teil des Tages mit hängenden Schultern direkt vor dem Eingang des Polizeipräsidiums rauchend unter einer Kastanie saß, die personifizierte Unlust, in sich gekehrt und doch für jedermann sichtbar wie auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller.
    Eine Alternative musste her, dringend. Da traf es sich natürlich gut, dass dort, wo die Mannschaftswagen geparkt wurden, eine niedrige Hecke wuchs. Ein schmaler Pfad führte zu einer kleinen, ungepflegten Wiese mit zwei versteckten Bänken.
    Hier saß Zorn also und starrte abwechselnd auf seine Turnschuhe und die Rückseite eines Einkaufszentrums. Kein schöner Anblick, doch das war Zorn egal.
    Solange er nur in Ruhe rauchen konnte.
    Er hatte keine Lust, über den Toten vom Fluss nachzudenken. Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen, dann nämlich, wenn Schröder die ersten Ergebnisse hatte. In ein paar Stunden würden sie wissen, ob es sich um Selbstmord handelte, bis dahin würde er abwarten.
    Und an etwas anderes denken, etwas Schönes.
    An Malina, die wahrscheinlich gerade aufgestanden war und jetzt verschlafen im Bad stand, wo sie leise schimpfend nach der Zahnpasta suchte oder verzweifelt bemüht war, ihr wirres Haar zu ordnen.
    Zorn seufzte. Eigentlich musste er zufrieden sein, er hatte doch jetzt, was er wollte. Sie lebten zusammen, und sie waren glücklich. Doch es gab ein Problem, etwas, das er schon lange mit sich herumtrug.
    Aber auch das war kein guter Gedanke.
    Weg damit.
    Der Himmel war grau, es sah nach Regen aus. Die Art von Regen, die Zorn nicht mochte. Winzige Tröpfchen, die kein Gewicht zu haben schienen, scheinbar schwerelos in der kalten Luft standen und dafür sorgten, dass die Kleidung innerhalb kürzester Zeit feucht und schwer wurde.
    Er zog fröstelnd die Schultern hoch, zerdrückte die Zigarette auf dem Rand eines bröselnden Betonpapierkorbs und machte sich widerstrebend bereit, zurück ins Präsidium zu gehen, als hinter ihm Schritte erklangen. Zweige wurden beiseite geschoben, jemand kämpfte sich schwer atmend durch das Gebüsch. Ein Mann erschien. Als er Zorn erblickte, blieb er verwundert stehen.
    »Ich grüße dich«, sagte er feierlich, zögerte einen Moment und lief dann weiter.
    Auf den ersten Blick sah er aus wie einer von denen, die tagsüber vor den Supermärkten standen, mehr oder weniger laut herumkrakeelten und Bier aus Einwegflaschen tranken. Er trug eine gefleckte Tarnhose und schwere schwarze Stiefel, ein Leinenrucksack hing über seiner ausgeblichenen Regenjacke.
    »Guten Tag«, grüßte Zorn zurück.
    Der Mann blieb stehen.
    »Redest du mit mir?«
    Er war etwas kleiner als Zorn, aber breit und massig gebaut wie ein Kampfsportler. Sein Alter war schwer zu schätzen, das halbe Gesicht wurde von einem schwarzen Bart bedeckt. Das Haar fiel ihm bis über die Schultern, er hatte es in der Mitte streng gescheitelt. Zunächst dachte Zorn, es werde von einem Gummiband zusammengehalten, doch dann stellte er verwundert fest, dass es sich um eine Stirnlampe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher