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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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versuche nicht zu spät wieder hier zu sein.«
    Doch das hörte Malina schon nicht mehr. Denn ebenso wie sie von einem Moment auf den anderen hellwach wurde, konnte sie urplötzlich wieder in tiefsten Schlummer fallen.
    *
    Claudius Zorn hatte sich mittlerweile damit abgefunden, in der Öffentlichkeit als erfolgreicher Ermittler zu gelten. Logisch, schließlich hatte er in den letzten beiden Jahren gleich mehrere schwere Verbrechen aufgeklärt. Jedenfalls offiziell, denn immer war es Schröder gewesen, der im Hintergrund die Fäden gezogen und den größten Teil der Arbeit geleistet hatte. Doch Zorn war der Vorgesetzte, er war es, dessen Name in der Presse genannt wurde. Schröder war diese zweifelhafte Art der Anerkennung egal – das glaubte Zorn zumindest. Sicher war er nicht, doch wann konnte man bei Schröder schon sicher sein?
    Als er kurz vor halb acht den Volvo vor dem Präsidium parkte, beschäftigte ihn etwas anderes. Seufzend verstaute er den Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu seinem Büro, wo Schröder bereits auf ihn wartete.
    *
    »Ich hab Quarkbällchen mitgebracht, Chef. Und im Fenster steht frischer Kaffee.«
    Zorn brummte etwas Unverständliches, nickte Schröder zu, hängte seine Jacke an den Garderobenständer und goss Kaffee ein.
    Seit vier Monaten hatte er jetzt ein neues Büro. Er hätte zufrieden sein sollen, das Zimmer war geräumiger als das alte, mindestens dreimal so groß. Und es war viel heller, der Raum lag im vierten Stockwerk des Präsidiums, die Westseite war komplett verglast. Die Verwaltung hatte sich nicht lumpen lassen, ein senffarbener, flauschiger Teppich, hohe Regale und eine verchromte Stehlampe gehörten zur Einrichtung.
    Und der dicke Schröder.
    Schröder, der in einem gelb-grün karierten Pullunder hinter dem großen Schreibtisch saß, der jetzt ihr gemeinsamer Arbeitsplatz war.
    »Gut geschlafen, Chef?«
    Zorn antwortete nicht. Er hatte damals gar nicht erst versucht zu protestieren. Man hatte ihre Büros zusammengelegt, um, wie es hieß, die Dienstwege zu verkürzen. Schröder hatte sich ehrlich gefreut, so schien es Zorn jedenfalls. Und er selbst? Nun ja, sicher war er nicht. Klar, er mochte Schröder, und nachdem sie jetzt seit Jahren zusammen arbeiteten, hatte er akzeptiert, dass Schröder ihm geistig ebenbürtig war. Mindestens.
    Seit sie sich das Büro teilten, wurde der Fußboden regelmäßig gesaugt, Schröder hatte Bilder aufgehängt und Grünpflanzen aufgestellt, große exotische Pflanzen, deren Namen Zorn sofort wieder vergessen hatte.
    Aber seine Ruhe war dahin. Er hatte keine Tür mehr, die er hinter sich schließen konnte.
    Tröstlich war, dass Schröder immer etwas zu tun hatte, ständig im Präsidium unterwegs war. Diese Zeit nutzte Zorn, um das zu tun, was er am liebsten machte: Dann legte er die Füße hoch und starrte die frisch geweißten Wände an.
    Er stellte die Kaffeetasse ab und nahm Schröder gegenüber Platz.
    »Also, was liegt an?«
    Schröder klappte eine rosafarbene Akte zu.
    »Eine ganze Menge. Die Kondensmilch ist alle. Außerdem müssen die Begonien umgetopft werden.«
    »Schröder, bitte«, unterbrach Zorn ihn sanft. »Ich habe wenig geschlafen.«
    Schröder senkte schuldbewusst den Blick.
    »Weil ich dich aus dem Bett geholt habe.«
    »Ja. Und jetzt erzähl.«
    »Wir haben eine Leiche, männlich, circa sechzig Jahre alt«, begann Schröder, nachdem er sich umständlich geräuspert hatte. »Ungefähr eins fünfundsechzig groß und fünfundsiebzig Kilo schwer.«
    »Also ungefähr deine Statur.«
    »Ja«, nickte Schröder. »Aber das würde ich dem armen Mann nicht zum Vorwurf machen.«
    Zorn trank einen Schluck Kaffee.
    »Das hatte ich auch nicht vor. Er ist tot, damit ist er genug gestraft.«
    »Er wurde oberhalb des Wehrs gefunden«, fuhr Schröder fort. »Ein paar hundert Meter von der Brücke entfernt. Der Gerichtsmediziner kann noch nicht viel sagen, außer, dass er nicht länger als zwei Stunden im Wasser lag.«
    »Todesursache?«
    »Aufgesetzter Kopfschuss.«
    »Mord?«
    »Oder Selbstmord. Der Schusskanal deutet darauf hin.«
    »Dann müssten Schmauchspuren an der Hand sein.«
    »Da will sich der Gerichtsmediziner noch nicht endgültig festlegen, aber es sieht danach aus, sagt er. Ich habe nachgedacht.« Schröder schob sich eine dünne rötliche Strähne aus der Stirn. Sein Haar war merklich lichter geworden, trotzdem achtete er noch immer peinlich genau darauf, die verbliebenen Reste sorgfältig quer über die Glatze zu
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