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Zorn und Zärtlichkeit

Zorn und Zärtlichkeit

Titel: Zorn und Zärtlichkeit
Autoren: Johanna Lindsey
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Pferd.
    Auf dem Rückritt dachte er unablässig an die schöne Nixe und fragte sich, wer sie sein mochte. Eine Fergusson? Die Tochter eines Pächters? Nein, das glaubte er nicht. Welcher Mann, der eine so schöne Tochter hatte, würde ihr erlauben, nackt in einem Teich zu baden? Und der Gedanke, sie könnte eine Fergusson sein, war ihm in tiefster Seele zuwider. Lieber wollte er sich vorstellen, dass sie eine Bettlerin war, die durch das Fergusson-Gebiet zog.
    Nun, vielleicht war sie wirklich eine Bettlerin, die ein Bad nahm, bevor sie auf Tower Esk um eine milde Gabe flehen wollte. In Schottland wimmelte es von solchen Leuten, vor allem im Tiefland, wo es mehr Kirchen gab, wo frömmere, wohltätigere Leute lebten als im Hochland. Andererseits - konnten Bettlerinnen so schön sein? Das war nicht auszuschließen, aber zweifelhaft. Und wenn diese Möglichkeit ausschied - wer mochte sie dann sein? Würde er es jemals erfahren?
    Er bekämpfte den Wunsch, umzukehren und sie kennenzulernen, denn nun kamen seine Männer in Sicht. Der Nebel hatte sich aufgelöst, in der Ferne war Tower Esk zu erkennen, das auf seinem befestigten Berg aufragte, und er sah auch die zahlreichen, im Moor verstreuten Pachtgüter. Es war an der Zeit, den Kampf zu eröffnen.
    Aber Jamies Rachsucht hatte spürbar nachgelassen. Der Anblick des schönen Mädchens, die Erinnerung an seine Tante und die Sorge um deren Geisteszustand hatten seinen Zorn verringert. Natürlich musste ein Unrecht mit Unrecht vergolten werden, aber Jamie wollte sich barmherzig zeigen. Bei seinen Männern angekommen, erklärte er ihnen seinen Gesinnungswandel. Sein Wort war Gesetz, und jene, die seine Milde mißbilligten, sollten zum Teufel gehen.
    Sie zerstörten drei Höfe an diesem Morgen. Die Ernte wurde zertrampelt, das Vieh gestohlen. Aber Frauen und Kinder blieben am Leben und sahen gezwungenermaßen mit an, wie ihre Hütten niederbrannten. Die Pächter, die sich in den Kampf stürzten, fanden den Tod. Wer keinen Widerstand leistete, wurde verschont.
    Jamie verharrte noch eine Weile am Schauplatz seiner Rache, um abzuwarten, ob sich Dugald Fergusson blicken lassen wollte. Die brennenden Hütten lagen im Blickfeld der Turmzinnen, doch die MacKinnions waren in der Überzahl, und er wusste , dass Dugald keinen Gegenangriff wagen konnte. Indem Jamie in aller Offenheit einen Vergeltungsschlag herausforderte, wollte er seinen Feind demütigen. Sobald sich seine Männer mit ihrem Sieg zufriedengaben, trat er den Rückzug an.
    Die Fehde begann von neuem. Jamie freute sich keineswegs darüber. Zu Hause quälten ihn schon genug Sorgen - auch ohne die fernen Fergussons. Doch sie hatten es so gewollt, und nun war geschehen, was geschehen musste .
    Auf dem langen Heimweg plante Jamie keine künftigen Überfälle. Statt dessen dachte er an ein schönes, geheimnisvolles Mädchen - eine Nixe mit perlmuttweißer Haut und Haaren, die dunkelroten Flammen glichen.

3

     
    JUNI 1541,
    ANGUSSHIRE, SCHOTTLAND
    Sheena Fergusson blickte über die Zinnen von Tower Esk auf das friedliche Moor, aber ihre Gedanken waren alles andere als friedlich. Von Natur aus Frühaufsteherin, hatte sie sich schon im Morgengrauen von ihrem Bett erhoben, um zu beobachten, wie sich der Himmel rosa färbte und mit dem Heidekraut wetteiferte. Sie ärgerte sich, weil es ihr verboten war, das Turmhaus zu verlassen - nicht einmal für einen kurzen Ausritt in Begleitung mehrerer Gefolgsleute.
    Das war ungerecht. Doch in diesen Tagen gab es keine Gerechtigkeit mehr und das alles nur, weil MacKinnion im vergangenen Monat beschlossen hatte, den zweijährigen Waffenstillstand zu beenden. In diesen beiden beschaulichen, sorglosen Jahren war Sheena die Freiheit vergönnt gewesen, die sie als Kind genossen hatte. Als älteste von vier Töchtern und Dugald Fergussons Liebling war sie verwöhnt worden wie ein hochgeschätzter Erbe - bis zur Ankunft des langersehnten Stammhalters. Nach Nialls Geburt war sie immer noch die Lieblingstochter - aber eben nur eine Tochter.
    Seltsam, dass sie Niall nie ge hasst , sondern vom ersten Tag an geliebt hatte. Mit sechs Jahren, ein ungestümes Kind und maßlos verhätschelt, war sie nach den unwichtigen Geburten dreier Schwestern von diesem kleinen Jungen fasziniert gewesen.
    Die Liebe zwischen den beiden überraschte jedermann. Von Rechts wegen hätte Niall seiner Schwester Fiona am nächsten stehen müssen, da sie nur ein Jahr älter war als er. Und doch war es Sheena, der er stets
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