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Zorn und Zärtlichkeit

Zorn und Zärtlichkeit

Titel: Zorn und Zärtlichkeit
Autoren: Johanna Lindsey
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stehen und schlich zwischen Baumstämmen und Farnkraut lautlos in die Richtung, aus der die Stimme zu ihm drang. Um diese frühe Stunde schimmerte der Himmel rötlich-grau, über dem Boden schwebten immer noch Nebelschleier.
    Als Jamie das Mädchen erblickte, traute er seinen Augen nicht. War das eine Vision? Sie stand in einem kleinen Teich, das Wasser reichte ihr bis zur Taille. Nebelschwaden umwirbelten ihren Kopf. Sie sah aus wie eine Nixe - unwirklich und trotzdem irdisch genug.
    Sie kicherte wieder und spritzte Wasser auf ihre nackten Brüste. Ihr Gelächter entzückte ihn, und er stand wie gebannt da, um ihr genüßliches Spiel zu beobachten.
    Das Wasser musste mindestens so eisig sein wie die Morgenluft, doch die Kälte schien die junge Frau nicht zu stören - ebensowenig wie Jamie, nachdem er ihr eine Weile zugeschaut hatte.
    Sie war unglaublich hübsch und ließ sich mit keiner anderen vergleichen, die er je gesehen hatte. Und als sie sich zu ihm wandte, kam ihm das volle Ausmaß ihrer Schönheit erst richtig zu Bewußtsein. Ihre perlmuttweiße Haut bildete einen lebhaften Kontrast zu ihrem glänzenden, dunkelroten langen Haar. Zwei Strähnen hingen über ihre Brüste hinab und schwammen im Teich. Und wie reizvoll diese Brüste waren - makellos geformt, hoch angesetzt, die Knospen von der Liebkosung des eiskalten Wassers erhärtet... Bewundernd ließ Jamie seinen Blick über die zarten Schultern wandern, die schmale Taille und den flachen Bauch, der in die Wellen und wieder hervortauchte, während sich das Mädchen spielerisch bewegte und immer wieder die sanfte Rundung einer Hüfte zeigte.
    Sie hatte feingezeichnete Gesichtszüge. Und das einzige, was Jamie nicht genau erkennen konnte, war die Farbe ihrer Augen, denn er stand zu weit entfernt, und die Spiegelung des Wassers ließ sie in einem so klaren, leuchtenden Blau erscheinen, dass dies unmöglich den Tatsachen entsprechen konnte. Wie gern wäre er näher herangegangen, um sich zu überzeugen...
    Und am allerliebsten würde er ihr ins Wasser folgen. Was für ein verrückter Gedanke, geboren aus der seltsamen Wirkung, die sie auf ihn ausübte. Aber wenn er sich zu ihr gesellte, würde sie entweder verschwinden - und beweisen, dass sie kein irdisches Geschöpf war, oder schreiend davonlaufen. Und wenn sie weder das eine noch das andere tat? Wenn sie stehenblieb und ihn erwartete und ihm erlaubte, sie zu berühren, wie er es ersehnte?
    Wider alle Vernunft be Schloss er, sich auszukleiden und in den Teich zu springen, doch da murmelte das Mädchen etwas Unverständliches und griff nach einem Ding, das... Ja, woher hatte sie es genommen? Jamie hob die Brauen. War sie wirklich und wahrhaftig ein Geist, der nach Belieben irgendwelche Gegenstände herbeizaubern konnte?
    Das sonderbare Ding entpuppte sich als Seifenstück, und sie begann sich damit zu waschen. Jetzt wirkte die Szene durchaus irdisch - ein Mädchen badete in einem Teich. Die irreale Atmosphäre war geschwunden, und Jamies Vernunft gewann wieder die Oberhand. Aber - konnte eine Seife von selber ins Wasser fallen? Sein Blick suchte das gegenüberliegende Ufer ab, bis er den Mann - oder eher den Burschen - entdeckte, der auf einem Felsblock saß und der jungen Frau den Rücken zugewandt hatte. Ihr Beschützer? Wohl kaum. Trotzdem schien er auf sie aufzupassen.
    Tiefe Enttäuschung stieg in Jamie auf, als er merkte, dass er nicht allein mit dem schönen Mädchen war. Die Anwesenheit des Burschen riß ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er musste sich auf den Weg machen. Nun fielen auch noch die ersten Sonnenstrahlen ins Dunkel des Wäldchens, als sollte ihm die Torheit seines Zauderns eindringlich vor Augen geführt werden. Sein Bruder und die anderen würden mittlerweile zu den Männern am Fluss zurückgekehrt sein und auf ihn warten.
    Plötzlich fühlte er sich elend. Während er das Mädchen beobachtet hatte, war er gleichsam in eine andere Welt versetzt worden. Jetzt erschreckte ihn der krasse Unterschied zwischen dem schönen Bild, das sich ihm bot, und dem grausamen, blutigen, das er bald erblicken würde. Und er konnte das Ereignis, das auf ihn zukam, ebensowenig abwenden, wie er die Szene vergessen würde, die er in diesem kleinen Tal mitangesehen hatte.
    Jamie warf einen letzten wehmütigen Blick auf die junge Frau. Sonnenstrahlen streuten glitzernde Punkte auf den Teich; einer berührte sie und ließ ihre Haare wie Flammen funkeln. Seufzend drehte er sich um und ging zu seinem
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