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Zorn des Loewen

Zorn des Loewen

Titel: Zorn des Loewen
Autoren: Jack Higgins
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Gesicht blaß im schwachen gelblichen Lichtschein. Aus einer tiefen Schramme in ihrer Wange rann Blut. Sie lachte unsicher und strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haares aus der Stirn.
    »Sie machen wohl keine halben Sachen, was?«
    »Was soll's?«
      Ihr Wollkostüm war verdreckt und durchnäßt, die Bluse zerrissen. Als sie ein paar Schritte tat, bemerkte er, daß sie stark auf dem rechten Bein humpelte. Sie hielt an, um ihre Handtasche aufzuheben. Der Mann auf dem Boden stöhnte und rollte sich auf den Rücken.
      Sie schaute einen Moment auf ihn herab und wandte sich dann an Mallory: »Werden Sie die Polizei holen?«
    »Soll ich's denn?«
      »Nicht unbedingt.« Sie begann leicht zu zittern. »Mir ist plötzlich sehr kalt.«
      Er ließ die Matrosenjacke von seinen Schultern gleiten und hängte sie ihr über. »Was Sie jetzt brauchen, ist etwas zu trinken. Wir kehren zum Hotel zurück. Sie können sich in meinem Zimmer wiederherrichten, während ich ein Taxi besorge.«
      Sie wies auf den am Boden liegenden Mann: »Wird er wieder auf die Beine kommen?«
    »Diese Sorte immer.«
      Er nahm ihren Arm. Sie kehrten um und bogen um die Ecke wieder in die Straße ein. Es begann zu regnen, ein feiner Nieselregen, der silbern auf den Eisengeländern perlte. Sie spürte einen dumpfen Schmerz im Knöchel. Die alten Häuser schwebten im Nebel vorbei, unwirklich und geisterhaft, Teil jenes furchtbaren Traumes, aus dem sie erst noch erwachen mußte. Der Boden schien unter ihren Füßen wegzugleiten.
      Mallory legte sofort seinen Arm um sie, stark und beruhigend, und sie blickte zu ihm auf und lächelte in das fremde, blasse Gesicht mit den dunklen Augen. »Es wird schon wieder gehen. Sie sind ein bißchen benommen, das ist alles.«
      Das Hotelschild tauchte aus dem Nebel auf, um sie willkommen zu heißen. Sie durchschritten die Eingangstür und stiegen die wackelige Treppe hinauf. Sein Zimmer befand sich am Ende des Flures. Er öffnete die Tür, schaltete das Licht an und schob sie behutsam hinein.
      »Fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich bin in ein paar Minuten zurück.«
    Das Zimmer strahlte die seltsame, ziemlich tote Atmosphäre aus, wie sie allen billigen Hotels dieser Welt zu eigen ist: ein Stück ausgefranster Teppich auf dem Boden, ein Eisenbett, ein schäbiger Schrank und eine abschließbare Truhe. Der einzige Hauch von Luxus bestand in einem Waschbecken in der Fensterecke. Anne humpelte hinüber.
      Überraschenderweise strömte heißes Wasser aus der Leitung, und sie wusch sich Gesicht und Hände. Dann betrachtete sie sich eingehend in dem Spiegel, der über dem Becken angebracht war. Die Schramme auf der Wange war nicht tief; sie schien keine schwereren Verletzungen davongetragen zu haben. Nur das Kostüm war ruiniert. Sie saß auf der Bettkante und untersuchte ihren Knöchel, als Mallory zurückkehrte.
      Er stellte eine kleine Flasche Brandy und zwei Gläser auf das Nachtschränkchen und ließ sich dann auf einem Knie vor ihr nieder: »Irgendeine Verletzung?«
      Sie schüttelte den Kopf: »Eine häßliche Schramme, das ist alles.«
      Er holte einen abgenutzten Koffer unter dem Bett hervor und entnahm ihm einen dicken Seemannspullover, den er ihr in den Schoß fallen ließ. »Den sollten Sie besser überziehen. Sie sind ja ganz durchnäßt.«
      Als sie den Pullover angezogen und die Ärmel hochgerollt hatte, nahm er ihren rechten Fuß, legte ihn auf sein Knie und begann ihn fachmännisch mit einem gefalteten Taschentuch zu bandagieren. Sie musterte ihn dabei schweigend.
      Er war mittelgroß, mit breiten Schultern, und trug typische Seemannskleidung: ein einfaches blaues Flanellhemd und eine schwere Arbeitshose aus irgendeinem dunklen Stoff, die durch einen breiten Ledergürtel mit Messingschnalle gehalten wurde. Aber dies war kein gewöhnlicher Mann. Sein Gesicht war auffällig, hart und undurchschaubar, das Gesicht eines Mannes, mit dem niemand gern sein Spielchen treiben würde. Die Haut war hell und blutlos, das Haar, schwarz und gekräuselt, lief zur Stirn hin spitz zu. Das außergewöhnlichste Merkmal jedoch waren seine Augen, die so dunkel waren, daß jeglicher Lichtschein in ihnen erstarb.
    Auf dem Pier war er furchterregend gewesen in seiner Wut, kämpferisch und grausam; und als er jetzt zu ihr aufblickte, ging der Blick seiner dunklen Augen durch sie hindurch, als wäre sie aus Glas. Zum ersten Mal an diesem Abend wurde sie von echter Furcht ergriffen; aber dann
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