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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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der Fremde. Der Gadscho, der nicht verstand. Für einen Völkerkundler ist das ein Problem. Nicht für einen Reporter. Ein Journalist ist in der privilegierten Lage, von seinem Befremden, seinem Nicht-Verstehen und bisweilen auch von seinem Erschrecken zu erzählen.
    Als mich der Playboy vor einigen Jahren in einem Interview über meine Erfahrungen unter den Zigeunern befragte, bewies mein Gesprächspartner Rüdiger Winter den Mut zu unbefangenem Umgang mit vermeintlichen Vorurteilen. Er wollte wissen: »Wird man da nicht furchtbar beklaut?« Die Frage soll auch an dieser Stelle nicht unbeantwortet bleiben. Verglichen mit verlustreichen Reisen nach Südamerika nahmen sich die materiellen Ausfälle sehr überschaubar aus: ein Beutel mit benutzter Unterwäsche und schmutzigen Socken, diverse Plastikkugelschreiber und Einwegfeuerzeuge, eine Sonnenbrille, einige Miles-Davis-Musikkassetten sowie ein paar Zehnerpacks mit unbelichteten Diafilmen. Und dann war da noch eine teure Fotokamera, die plötzlich verschwunden war.
    Ich hatte den Roma auf dem Gelände eines Zementwerks im rumänischen Turda Fotografien von einem früheren Besuch gezeigt, als ich in der Wohnstube von Carol Costea den Verlust bemerkte. Als ich drohte, ich würde das Haus nie mehr verlassen und selber ein Zigeuner werden, sollte der Apparat nicht zu mir zurückfinden, zog sich der Sippenchef Carol nachdenklich zurück. Nach einer halben Ewigkeit tauchte er wieder auf, die Kamera in seinen Händen, strahlend und mit der wohl wunderbarsten Erklärung, mit der je ein Diebstahl rückgängig gemacht wurde. Der Apparat habe sich, so Carol, aus meiner Fototasche heraus ins Nachbarhaus verirrt. »Weil nicht alle Zigeuner ehrliche Zigeuner sind.« Für mich gab es keinen Grund, dem guten Carol nicht zu glauben, als er mir versicherte: »Manchmal verschwinden wertvolle Dinge auf unerklärliche Weise. Und auf ebenso unerklärliche Weise kehren sie wieder zurück.«
    So sind sie halt, die Zigeuner. Einerseits. Andererseits wollten mir Roma einen Steinwurf von Carol Costeas Haus entfernt 1992 zwei Säuglinge verkaufen. Der Preis: 3000 Deutsche Mark. Und als ich zwanzig Jahre später die erste Alternativschule für Tzigani-Kinder unweit von Sibiu, dem siebenbürgischen Hermannstadt, besuchte, trat nachts vor meinem Hotel im historischen Zentrum eine junge Zigeunerin an mich heran und zupfte an meinem Jackett. Sie mag fünfundzwanzig gewesen sein. In gebrochenem Deutsch und mit ziemlicher Hartnäckigkeit bot sie mir zwei kleine Mädchen für sexuelle Dienste an. »Kannst du aussuchen. Eine blond, eine schwarz, beide süß. Ganz lieb.« In diesem Moment hätte der Philosoph André Glucksmann begreifen können, dass es nicht nur eine Furcht vor, sondern auch eine Furcht um die Roma gibt. Um ein zerrissenes Volk, das keine Gadsche braucht, um den Traum von ziganer Freiheit zu zerstören. Wohl aber, um diesen Traum gemeinsam zu verwirklichen.

KAPITEL 1
    Der Preis der Freiheit
    Frostige Zeiten – Verlorene Schlachten um Lohn und Brot – Die Bleikocher von Heves – Der Tod in der Gaswolke – Wenn das Sozialamt bar auszahlt – Copşa Mică: Rumäniens dunkle Seele – Die »Schwarzen« in der schwarzen Stadt – Stelian Coseriar: ein Überlebender, dem die Luft ausgeht – Das Erbe der Sklaverei und die Last der Geschichte
    Meine erste Reise zu den Zigeunern in Ungarn endete 1995 an einem trüben Herbstmorgen am Nordrand von Budapest, in dem Dorf Kerepes im Hinterhof des Schrottsammlers Gáspár György. Dort hatte ich einige Arbeiter fotografiert, die sich eine geschlagene Stunde damit abplagten, einen platten LKW -Reifen von einer rostigen Felge herunterzureißen. Ohne jedes Werkzeug, mit bloßen Händen. Ständig fluchten die Männer, weil sie sich die Finger quetschten, dann plötzlich fluchte ich. Gerade noch hatte ich Gáspár mit seinem Kutschpferd porträtiert, als ein frecher Kläffer an einer Kette aus einem Bretterverschlag hervorschoss, mich in die Wade biss und wie ein Blitz wieder in seiner Hütte verschwand. Gáspár und seine Kumpel versicherten, der Köter sei normalerweise vollkommen friedlich. Er tauge daher auch nicht zum Wachhund, weil er bei Fremden immer den Schwanz einziehe, allerdings neige er seit einigen Tagen zu sonderbarem Verhalten, für das es keine Erklärung gebe. Jedenfalls meinten die Cigány, wie sie sich nannten, der Hund sei wahrscheinlich verrückt. Sie rieten mir, meine Reise zu unterbrechen und mich vorsichtshalber in
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