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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Autoren: Eva Völler
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hochkletterte und mitsamt dem abgebrochenen Brett ins Wasser stürzte. Zu meiner grenzenlosen Erleichterung verletzte sich niemand, es kamen alle mit dem Schrecken davon, sowohl das abgestürzte Kind als auch die Leute im Wasser.
    Beim zweiten Mal – ich war zwölf – sollte mein Vater mich zu einer Freundin fahren, die mich zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte. Wegen meines heftig juckenden Nackens trödelte ich so lange herum, bis er entnervt erklärte, ich solle gefälligst den Bus nehmen. Das tat ich, auch wenn es ein ziemlicher Umweg war. Später erfuhr ich, dass es auf der kürzeren Strecke, die wir mit dem Wagen genommen hätten, einen furchtbaren Unfall mit mehreren Toten gegeben hatte – genau zu der Zeit, als wir dort vorbeigefahren wären.
    Zwei Jahre später geschah es zum dritten Mal, kurz vor Mamas vierzigstem Geburtstag. Sie wollte groß feiern und hatte eine Menge Leute eingeladen und sie fand, der Baum im Vorgarten würde sich netter machen, wenn Papa ihn zur Feier des Tages mit einer Lampiongirlande schmückte. Also holte er die Leiter aus der Garage und stellte sie an den Baum.
    Ich rieb meinen juckenden Nacken und sagte besorgt: »Geh nicht da rauf! Es passiert was, das weiß ich!«
    Er lachte und erklärte, er werde sich schon vorsehen. Mit der Folge, dass Mamas Geburtstag in der Ambulanz endete, wo sie Papas Bein eingipsten und ihn informierten, dass er an diesem Tag schon der dritte Neuzugang sei, der von einer Leiter gestürzt sei.
    Aus Furcht, beim nächsten Mal wieder nicht ernstgenommen zu werden – wobei ich natürlich hoffte, dass es kein nächstes Mal geben möge –, erzählte ich meinen Eltern an diesem Tag von dem Jucken. Sie klopften mir auf die Schulter und meinten, ich solle das nicht überbewerten.
    Gott sei Dank kam es nicht zum Schlimmsten, als es zum vierten Mal geschah, vor einem Jahr, ein paar Tage nach meinem sechzehnten Geburtstag. Wir wollten essen gehen, Papa hatte in unserem Lieblingsrestaurant einen Tisch reserviert.
    Kurz bevor wir losfahren wollten, fing das Jucken an. »Wir sollten lieber nicht da hinfahren«, sagte ich.
    Papa war fasziniert und ein bisschen besorgt. »Hast du es wieder?«
    Ich nickte stumm.
    Mama ärgerte sich. »Es wäre eine gute Gelegenheit, Anna und auch uns zu beweisen, dass es sich hierbei um eine Art Autosuggestion handelt. Wissenschaftlich nicht haltbar.«
    »Auch nicht als Phänomen sogenannter Self-Fulfilling-Prophecy ?«, wandte Papa ein.
    »Hm. Das hängt davon ab, ob zweiwertige oder polykontexturale Logik anzuwenden ist. Obwohl – nein.« Mama schüttelte entschieden den Kopf. »Lass uns fahren.«
    »Ich will nicht«, sagte ich eigensinnig. Aus Sorge, sie könnten einfach ohne mich losfahren, schnappte ich mir den Autoschlüssel und warf ihn ins Klo.
    »Ich habe einen Reserveschlüssel«, sagte Mama
    »Dann lege ich mich in die Einfahrt.«
    Damit hatte sich der Restaurantbesuch erledigt. Zwei Stunden später rief Mama bei dem Lokal an und erkundigte sich, ob es dort besondere Vorkommnisse gegeben habe, etwa einen Brand oder eine bewaffnete Geiselnahme, worauf man ihr befremdet versicherte, dass alles in bester Ordnung sei. Mama lächelte mich mild an und meinte, da hätte ich es, das sei der Beweis.
    Am nächsten Morgen fuhr Papa zur Arbeit. Genauer, er wollte zur Arbeit fahren. Nach weniger als drei Minuten kam er zurück und berichtete von einer Pfütze, die er beim Zurücksetzen aus der Einfahrt entdeckt habe. Die Pfütze bestand aus Bremsflüssigkeit. Am Abend zuvor hätten wir sie wegen der Dunkelheit nicht bemerkt.
    »Zwei, drei Mal gebremst«, sagte der herbeigerufene Mechaniker, während er sich mit dem Finger über die Kehle fuhr, »und aus die Maus.«
    Seither hatte es nicht mehr gejuckt. Bis heute.
    Aber warum war diesmal das Jucken einfach so aufgetreten, ohne Zusammenhang mit irgendwelchen Vorhaben oder Absichten? Ich hatte weder in die rote Gondel steigen wollen, noch hatte ich anderweitige Pläne.
    Möglicherweise war die drohende Gefahr eher allgemeiner Natur. Ein Erdbeben? Ein Jahrhunderthochwasser?
    »Vielleicht bist du gegen die Sonne allergisch«, sagte Matthias.
    »Kann sein«, stimmte ich wider besseres Wissen zu. Das Sandwich schmeckte plötzlich nicht mehr, obwohl ich diese dreieckigen, typisch italienischen Weißbrote liebte und jeden Tag mindestens eines davon aß. Die Mayonnaise quoll mir zwischen den Fingern hervor, als ich das letzte Stück in den Mund schob und hastig kaute und schluckte, nur um
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