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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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und Rebecca gehört. Meine Mutter nicht, meine Schwester nicht, und die Schüler, die wir namentlich kennen, auch nicht.«
    »Stellen Sie uns bitte eine Liste aller Freunde, Schulkameraden, Bekannten und Verwandten zusammen. Name, Telefon, Adresse.«
    Lene Assmann stand auf, offenbar froh, etwas tun zu können. »Ich hole sie. Ich habe sie schon geschrieben.« Sie verließ das Zimmer.
    »Gibt es irgendwelche Plätze, die Ihre Kinder besonders gern aufsuchen? Vielleicht ein Schuppen, eine geheime Höhle?« Doch bei den minus acht Grad, auf die es in den letzten Stunden abgekühlt hatte, würden sie sich kaum draußen aufhalten. Jedenfalls nicht freiwillig. »Oder ein Schlupfwinkel im Haus? Keller, Dachboden, eine Garage …?« Es wäre nicht das erste Mal, dass Kinder sich im Haus oder dessen Umfeld versteckten, während die Eltern eine große Suchaktion initiierten.
    Die Weber-Zwillinge fielen dem Kommissar ein, achtjährige Streuner, die sie schon zweimal in der Michaelskapelle auf dem Alten Friedhof aufgegriffen hatten, ausgestattet mit Decken, selbstgebastelten Holzschwertern und der halben Vorratskammer ihrer Eltern. Oder die fünfjährige Melissa, die nach einem Streit ihrer Mutter mit deren Liebhaber über dreißig Stunden in einem Verschlag hinter dem Haus gekauert hatte, ihr Kaninchen im Arm, vor lauter Angst, dass das Tier durch das ständige Geschrei krank würde. Aber auch der Fall des kleinen Jakob stand ihm noch vor Augen. Jakob, der nach vier Tagen in einem Graben nahe der Schweizer Grenze gefunden worden war, nur mit einem T-Shirt bekleidet, der wuschelige Haarschopf verklebt von schwarzem Blut, missbraucht, erschlagen, das Opfer eines arbeitslosen Rechtsanwaltes, der in dem Kindergarten als Hausmeister angeheuert hatte. Und dann gab es die Fälle, in denen verschwundene Kinder zwar wieder gefunden wurden, aber körperlich und seelisch traumatisiert, so dass sie andere Kinder waren, wenn ihre Eltern sie wiederhatten. Oft begann das eigentliche Drama erst dann.
    »Wir haben alles durchsucht. Glauben Sie uns. Und geheime Plätze, also ehrlich gesagt …« Er fuhr sich durch das kurze Haar und schüttelte den Kopf.
    »Besitzen Sie ein Ferienhaus?«
    »Wir bevorzugen Hotels.«
    Lene kam zurück und reichte Ehrlinspiel ein Blatt Papier. Sie musste die letzten Worte gehört haben, denn sie deutete Richtung eines Fensters und sagte: »Sie haben ein Baumhaus. Aber dort sind sie nicht.«
    Ehrlinspiel und Freitag traten an das Fenster und schoben den Vorhang beiseite. Die Silhouetten der Bäume und ein paar Wege lagen im silberblauen Abendlicht. Von hier erkannten sie die Gestaltung des Parks: Um eine Achse aus kugeligen Stauden reihten sich – symmetrisch angelegt – Beete, Bäume und ein paar Statuen. Am Ende der Achse stand ein Pavillon. Die gesamte Anlage war von einer hohen Mauer eingeschlossen. In einem der Bäume thronte ein Würfel aus Brettern, angestrahlt von einem Scheinwerfer.
    Baumhaus de luxe, dachte Ehrlinspiel, der damit stets Wildheit und Abenteuer verband. Dieses hier und das ganze Anwesen wirkten kaum so, als hätten je Kinder dort gespielt. Erst recht nicht, als lebten hier welche.
    Er drehte sich zu den Eltern um, lehnte sich an das Fensterbrett und versuchte ein aufmunterndes Lächeln. »Halten Sie es für möglich, dass Ihre Kinder ausgerissen sind?«
    »Warum denn?« Lene setzte sich wieder in den Sessel. Das Taschentuch hielt sie noch immer in der Faust. »Sie haben keinen Grund.«
    Freitag streifte seinen Freund mit einem Blick. Ehrlinspiel wusste, dass sie dasselbe dachten. Die Eltern verschwundener Kinder tischten einem immer Lügen auf – ganz gleich, ob bewusst oder nicht, und ganz gleich, wie sehr sie dabei weinten und flehten. Immer gab es hinter dem Zimmer, in dem sie saßen und miteinander sprachen, einen weiteren, unsichtbaren Raum. Einen, dessen Tür fest verschlossen war und hinter der sich ein Geheimnis, Lügen, Schuld, eigenes Versagen oder eine Familientragödie verbargen. Der Schlüssel zu diesem Raum waren nicht selten die Fragen der Polizei. Fragen, die die Angehörigen fürchteten. So sehr, dass sie ihre Gedanken selbst manipulierten und an ihre heile Welt glaubten.
    »Sind die Kinder schon einmal weggelaufen?«, fragte Ehrlinspiel.
    »Nein, nie. Ich sagte doch, es gibt keinen Grund.« Lene Assmann zerzupfte das Taschentuch.
    »Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern?«
    »Gut«, sagte Günther Assmann. »Also ich meine, wir haben keine größeren Probleme
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