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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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Konferenz wegen der bevorstehenden Abiturprüfungen stattgefunden hatte, so dass die Kinder erst zur dritten Stunde kommen mussten. Nur deswegen hatte auch er sie chauffiert und nicht, wie üblich, Lene. Er war direkt danach ins Theater gefahren. Becci hatte sicher nur Mathe geschwänzt. Ja, so musste es sein! Hatte Lene nicht letzte Woche erst erwähnt, dass seine Tochter Mathematik nicht mochte? Dunkel hatte er etwas in Erinnerung. Dafür liebte sie Pflanzen- und Tierkunde, hatte Lene gesagt. Und Deutsch. Schon jetzt verstand sie sich fehlerfrei und wortreich auszudrücken. Er blies ein paar Rauchkringel in die Luft.
    Rebecca kam eben ganz nach ihm.
    Faust. Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist, der Menschheit Krone zu erringen, nach der sich alle Sinne dringen?,
rezitierte er in Gedanken, inhalierte genussvoll, stieß den Rauch aus und beobachtete, wie die dünnen, bläulichen Fäden zwischen den Schneeflocken aufstiegen.
    »Marius war auch nicht da!« Frau Heinemann eilte aus der Tür. Sie atmete schnell, und ihre Finger waren so fest um den Riemen ihrer Tasche geschlossen, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Keiner der Kollegen hat Ihre Kinder heute gesehen.«
    Heiß und hart zog sich die Wut in Günthers Bauch zusammen. »Sie wissen, dass Rebecca … etwas nachlässig mit … mit ihrem Zustand umgeht. Und
Sie
« – er deutete mit der Zigarette auf die Lehrerin – »haben, verdammt noch mal, die Pflicht, sich darum zu kümmern. Wenn meine Tochter nicht da ist und mein Sohn auch nicht, dann …«
    »Dann ist es
Ihre
Aufgabe, Ihre Kinder bei uns zu entschuldigen. Zumindest Rebecca.« Sie verschränkte die Arme. »Marius ist ja volljährig.«
    Günther warf die Gauloises zu Boden und trat länger als nötig mit dem Absatz darauf herum.
Nicht aufregen.
»Okay. Meine Kinder waren nicht da. Und jetzt?« Sein Tonfall war hart und nicht angemessen, doch die Frau provozierte ihn mit ihren ständigen Seitenblicken auf den Jeep und jetzt auf die Zigarettenkippe am Boden.
    »Ich bin keine Krankenschwester und auch keine Privataufsicht. Wenn Rebecca hier ist, achte ich auf alles. Ganz diskret. So, wie Sie es mir aufgetragen haben. Damit keines der anderen Kinder …« Sie verstummte und wartete, bis eine Gruppe lachender Jugendlicher den Hof überquert hatte. Sie mochten in Marius’ Alter sein, und der Blick eines strohblonden Mädchens blieb kurz an Günther hängen. Dann hakte sie sich bei einem der Jungen unter und ging auf ihren hochhackigen Stiefeln und mit provozierendem Hüftschwung weiter.
    »Obwohl«, fuhr die Lehrerin fort, und ihre Stimme ging etwas nach oben, »ich es für besser hielte, wenn wir einen offenen Umgang mit …«
    »Nein!«
    Frau Heinemann holte tief Luft, bevor sie den Blick zu ihm hob. »Hören Sie, wenn Ihre Kinder heute hierher aufgebrochen und nicht angekommen sind, sollten wir die Polizei rufen.«
    Er starrte sie an. Verdrängte die Gedanken, die ihm kurz und grell wie Bühnenspots durch den Kopf schossen und die er nicht aufzuhalten vermochte. Mit steifen Fingern kramte er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche hervor. Wählte Rebeccas Nummer. Jedes
Tut
schien sich Minuten hinzuziehen. Nach fünf Mal empfing ihn die muntere Stimme seiner Zehnjährigen:
Hier ist Rebecca. Ich bin in der Schule und habe das Handy aus, aber wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich euch anrufen.
Auch bei Marius meldete sich nur die Mailbox.
    »Sie können nicht weg sein.« Der Touchscreen seines Mobiltelefons schien plötzlich eiskalt zu sein. »Bestimmt machen sie sich ein paar schöne Stunden in einem dieser Schnellrestaurants. Rebecca ist doch ganz scharf auf Pommes und Cheeseburger.«
    »Aber …« Frau Heinemann hob die Hände.
    »Marius weiß, was Rebecca braucht. Sie selbst weiß es auch. Ihr wird nichts passieren«, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: Erst, wenn sie wieder zu Hause ist. Dann nämlich werde ich den beiden die Leviten lesen. Als hätte ich zurzeit nicht genug Aufregung.
    »Rufen Sie bitte an, wenn die beiden aufgetaucht sind.«
    »Natürlich.«
    »Danke.« Sie schob den Riemen ihrer Tasche, der herabrutschte, auf die Schulter zurück und ging neben ihm her zu seinem Wagen. »Faust ist übrigens ein großartiges Stück. Eine echte Herausforderung. Ich freue mich so für Sie!«
    Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. Überlegte, ob sie das ironisch meinte, doch ihr offenes Lächeln sprach für die Ehrlichkeit ihrer Worte, genauso, wie ihre Sorge um seine Kinder wohl kaum
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