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Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
Autoren: Robin Hobb
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der Himmel wieder blau wurde. Nur bis die Erde aufhörte zu beben. Aber sie hörte nicht auf. Die Erde bebte jeden Tag, und die Berge spien Flammen. Die Wälder brannten, und die Asche regnete auf alles herunter, erstickte alles. Der Fluss war von Asche zäher als Blut. Die Luft war voll davon, und wo sie herabregnete, überzog sie alles mit einer Ascheschicht. Wir riefen aus unseren Kokons heraus nach unseren Freunden, aber nach einer Weile antworteten sie nicht mehr. Ohne die Sonne konnten wir nicht schlüpfen. So lagen wir in der Dunkelheit, eingehüllt in unsere Erinnerungen und warteten.«
    Das Knäuel und sein Gefolge schwiegen. Sie blieben, wo sie waren, lagen auf seinen steifen Gliedern und seinen Flügeln, ausgebreitet über seinem massigen Körper. Maulkin blies ihm eine schwache Wolke Gifte ins Gesicht. »Sprich weiter«, befahl er freundlich. »Wir verstehen nicht, aber wir hören.«
    »Ihr versteht das nicht?« Er lachte schwach. »Ich verstehe es selbst nicht. Nach einer langen Zeit kamen andere Leute. Sie waren ähnlich und doch anders als diejenigen, die uns retten wollten. Wir riefen sie freudig an, weil wir sicher waren, dass sie gekommen waren, um uns endlich aus der Finsternis zu befreien. Aber sie hörten uns nicht. Sie schoben unsere luftigen Stimmen beiseite, schätzten uns geringer als Träume. Dann töteten sie uns.«
    Shreeva fühlte, wie ihre Hoffnung sank.
    »Ich habe die Schreie von Tereea gehört. Ich konnte nicht verstehen, was passierte. Sie war bei uns, und dann plötzlich war sie fort. Die Zeit verstrich. Dann griffen sie mich an. Werkzeuge fraßen sich in meinen Kokon, rissen ihn auf, während er immer noch dick und schwer war, stark durch meine Erinnerungen. Dann...«: Er schien plötzlich verblüfft. »Sie warfen meine Seele auf die kalten Steine. Dort starb sie. Aber die Erinnerungen blieben, gefangen an den Schichten des Kokons. Sie zersägten mich zu Planken, und aus denen erschufen sie einen neuen Körper. Sie erschufen mich neu nach ihrem Bildnis, meißelten alles fort, bis sie mir ein Gesicht, einen Kopf und einen Körper nach ihrem Vorbild geschaffen hatten. Und sie ertränkten mich in ihren eigenen Erinnerungen, bis ich eines Tages als jemand anders erwachte. Sie nannten mich Ringsgold , und das wurde ich dann. Ein Lebensschiff. Ein Sklave.«
    Sie schwiegen alle, als er verstummte. Er hatte Worte benutzt, die Shreeva nicht kannte, von Dingen gesprochen, die sie nicht begriff. Es überlief sie kalt vor Entsetzen. Sie wusste, dass er eine gewaltige Geschichte erzählt hatte, eine, die vom Ende ihrer Art kündete, aber sie wusste nicht, warum. Und war beinahe froh, dass sie das Ausmaß der Tragödie nicht ermessen konnte. Maulkin umklammerte immer noch die Kreatur und hatte seine Augen verhüllt. Seine Farben waren verblasst, und er sah elend aus.
    »Ich werde um dich trauern, Draquius. Dein Name beschwört einen Widerhall von Erinnerungen in meiner Seele herauf. Ich denke, dass wir uns einst gekannt haben. Aber wir müssen uns als erinnerungslose Fremde trennen. Wir werden dich ziehen lassen.«
    »Nein! Bitte!« Draquius starrte Maulkin mit aufgerissenen Augen an und versuchte, ihn zu umklammern. »Lass mich nicht los. Du hast meinen Namen ausgesprochen, und er erklang in meinem Herzen wie das Trompeten des Drachen des Morgengrauens. Ich habe mich schon so lange vergessen. Sie haben mich immer bei sich gehalten, haben mir niemals Einsamkeit gegönnt, mir nie erlaubt, dass meine alten Erinnerungen an die Oberfläche steigen. Schicht auf Schicht ihres armseligen kleinen Lebens haben sie auf das meine gehäuft, bis ich selbst glaubte, einer von ihnen zu sein. Wenn du mich ziehen lässt, werden sie mich wieder in Besitz nehmen. Es wird alles von vorn anfangen und diesmal vielleicht niemals enden.«
    »Wir können nichts für dich tun«, entschuldigte Maulkin sich traurig. »Wir können ja nicht einmal uns selbst helfen. Ich fürchte, du hast uns das Ende unserer eigenen Geschichte erzählt.«
    »Verzehrt mich«, bat ihn Draquius kläglich. »Ich bin nicht mehr als die Erinnerungen von Draquius. Hätte er überlebt, wäre er einer eurer Führer gewesen, der euch sicher nach Hause geleitet hätte. Aber das konnte er nicht mehr. Ich bin alles, was von ihm übrig geblieben ist, nurmehr eine armselige Hülle von einem Leben. Ich bin Erinnerungen, nicht mehr als das, Maulkin von Maulkins Knäuel. Ich bin eine Geschichte, die niemanden findet, der sie erzählt. Also nimm meine
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