Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Young Sherlock Holmes 4

Young Sherlock Holmes 4

Titel: Young Sherlock Holmes 4
Autoren: Andrew Lane
Vom Netzwerk:
Schüler zu unterrichten.
    Der Raum war groß und staubig. Sonnenstrahlen, die durch Lücken zwischen den Dachziegeln drangen, formten diagonale Pfeiler aus Licht. Fast wirkte es, als würden sie die Dachkonstruktion ebenso tragen wie ihre realen Pendants aus Holz. Laut Stone war die Akustik sogar noch etwas schlechter als in einer Scheune, aber immerhin bedeutend besser als in seinem Zimmer. Die niedrigen Wände waren von Kisten- und Kofferstapeln gesäumt, und durch eine Bodenluke etwas weiter abseits gelangte man über eine Leiter in die oberste Etage hinunter. Den einen Arm um den Violinenkoffer gekrampft, war es etwas knifflig, da hinauf- und hinunterzukraxeln, doch Sherlock gefiel die Abgeschiedenheit des Dachbodens und das Gefühl von Weite, das dieser vermittelte.
    Eines Tages, dachte Sherlock, werde ich einen eigenen Ort zum Leben haben – einen Platz, an dem ich mich vor der Welt zurückziehen und nicht gestört werden kann. Und ich werde niemanden hineinlassen.
    Ein paar Tauben ließen sich flatternd auf dem Dach nieder und blockierten einen Augenblick lang das Sonnenlicht. Kälte strömte von draußen herein, eisige Finger frostiger Luft, die sich ihren Weg durch die Lücken zwischen den Dachziegeln bahnten.
    Er seufzte. Die Violine fühlte sich auf einmal schwer und irgendwie klobig an, fast als hätte er zum allerersten Mal eine in den Händen. Auf dem Notenständer vor ihm war die Partitur eines Stückes von Mozart ausgebreitet: eine Violinen-Bearbeitung einer – so Stone – berühmten Arie der Königin der Nacht namens
Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen
aus Mozarts Oper
Die Zauberflöte
. Was Sherlock betraf, so waren die zwischen den Linien gebannten schwarzen Noten für ihn so etwas wie ein Code. Ein Code allerdings, den er rasch zu entschlüsseln gelernt hatte, handelte es sich doch um nichts anderes als eine simple monoalphabetische Substitution. Ein schwarzer Klecks auf
jener
Linie bezeichnete stets einen Ton, der sich exakt
so
anhörte – es sei denn, es befand sich eine kleine Raute, das »Kreuz«, davor, die ihn um einen Halbton erhöhte, beziehungsweise ein kleines, schräg gestelltes »b«, welches ihn um einen Halbton vertiefte. Ein Kreuz oder ein »b« bezeichneten also entweder die Mitte zum nächst höheren oder nächst tieferen Ton. Das war einfach und leicht verständlich. Warum also konnte er die geschriebenen Noten dann nicht in etwas verwandeln, dem Stone, ohne sich vor Schmerzen zu winden, zuhören konnte?
    Sherlock wusste, dass er nicht so schnell Fortschritte machte, wie Stone es sich gewünscht hätte, und das ärgerte ihn. Am liebsten wäre er in der Lage gewesen, das Instrument einfach so ohne weiteres aufzunehmen, um gleich beim ersten Mal und dann immer wieder wunderschön darauf zu spielen. Doch bedauerlicherweise war das Leben nicht so. Aber das
sollte
es, dachte er trotzig. Er erinnerte sich, dass er das Gleiche beim Piano empfunden hatte, das im Haus seiner Eltern stand. Stundenlang hatte er daran gesessen und herauszubekommen versucht, warum er nicht einfach drauflosspielen konnte. Das Gute an einem Piano war doch schließlich dessen unerbittliche Logik: Man drückte einfach eine Taste, und eine Note erklang.
    Dieselbe Taste brachte unweigerlich jedes Mal denselben Ton hervor. Man musste sich nur daran erinnern, welche Taste welchen Ton erzeugte, dann sollte man doch wohl auch imstande sein zu spielen. Das Problem war nur, dass, ungeachtet wie sehr er über all das nachgedacht hatte, er es niemals zustande gebracht hatte, sich einfach ans Piano zu setzen und so zu spielen, wie seine Schwester es vermochte: fließend und wunderschön wie ein in der Sonne golden funkelnder Fluss.
    Vier Saiten! Die Violine hatte nur vier Saiten! Wie schwer konnte das schon sein?
    »Das Problem«, begann Stone plötzlich, während er sich umwandte und Sherlock anstarrte, »ist, dass du die Noten spielst und nicht die Melodie.«
    »Das ergibt überhaupt keinen Sinn«, verteidigte sich Sherlock.
    »Das ergibt absolut Sinn«, seufzte Stone. »Die einzelnen Bäume sind nicht der Wald. Der Wald besteht aus allen Bäumen zusammengenommen, plus dem Unterholz, den Tieren, den Vögeln und sogar der Luft. Nimm all das weg, und dir bleibt nur noch eine Ladung Holz – leblos, ohne Gefühl, ohne
Atmosphäre

    »Und woher kommt dann das Gefühl in der Musik?«, fragte Sherlock niedergeschlagen.
    »Nicht von den Noten.«
    »Aber außer denen steht doch nichts auf dem Papier!«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher