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Young Sherlock Holmes 4

Young Sherlock Holmes 4

Titel: Young Sherlock Holmes 4
Autoren: Andrew Lane
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anderer Mann betrat den winzigen Vorraum von Kai Lungs Wohnung. Er war kleiner und besser gekleidet als sein Herold und hielt einen Gehstock in der Hand. Eine Kältewelle schien mit ihm in den Raum gekommen zu sein. Eine seltsame Empfindung durchfuhr Kai Lung, und er brauchte einen Moment, um darauf zu kommen, was es war.
    Angst. Es war Angst.
    »Sie wollen Tätowierung?«, sagte er, bemüht, ein Beben in seiner Stimme zu unterdrücken.
    »Ich hätte gern ein Tattoo auf der Stirn«, erwiderte der Mann. Auch er hatte einen amerikanischen Akzent. »Es handelt sich um einen Namen. Einen Frauennamen.« Seine Stimme war ruhig und klang präzise. Das hinter ihm scheinende Licht hüllte sein Gesicht in Schatten. Doch das matte Licht von Kai Lungs Öllampe brachte den Knauf seines Gehstocks zum Leuchten. Einen Moment lang meinte Kai Lung, es handelte sich um einen großen, rauen Klumpen aus purem Gold. Doch dann sog er verblüfft die Luft ein, als er plötzlich erkannte, um was es sich handelte. Der Knauf hatte die Gestalt eines Totenkopfes.
    »Sie wollen Namen von Liebsten auf
Stirn
?«, fragte Kai Lung fassungslos. »Die meisten wollen Namen von Liebsten auf Arm oder vielleicht Brust – nah am Herzen.«
    »Das Mädchen ist nicht meine ›Liebste‹«, stellte der Mann klar. Seine Stimme klang immer noch ruhig, immer noch präzise. Aber tief in ihr verborgen lag ein Ton, der Kai Lung erzittern ließ. »Und ja, ich will ihren Namen auf die Stirn tätowiert haben. Nah an meinem Hirn, so dass ich mich immer an ihn erinnern kann. Und besser, Sie arbeiten akkurat. Ich toleriere keine Fehler.«
    »Ich bester Tätowierer in ganzer Stadt!«, sagte Kai Lung stolz.
    »Das ist das, was ich gehört habe. Deswegen bin ich hier.«
    Kai Lung seufzte. »Wie ist Name von Mädchen?«
    »Ich habe ihn aufgeschrieben. Kannst du Englisch lesen?«
    »Ich können sehr gut lesen.«
    Der Mann streckte die linke Hand aus und hielt ihm einen Zettel entgegen. Kai Lung nahm ihn vorsichtig in die Hand und versuchte dabei, nicht die Haut des Mannes zu berühren. Er blickte auf den Namen, der auf dem Zettel stand.
    Er hatte keinerlei Probleme, die in akkurater Handschrift geschriebenen Worte zu entziffern.
    »Virginia Crowe«, las er laut. »Ist das richtig?«
    »Absolut richtig.«
    »Welche Farbe Sie wollen?«, fragte Kai Lung in der Erwartung, dass der Mann »Blau« sagen würde. Aber er sollte sich täuschen.
    »Rot«, sagte der Mann. »Ich will es in Rot. Rot wie Blut.«

1
    »Aufhören!«, rief Rufus Stone. »Du machst mich noch fertig!«
    Sherlock hob den Bogen von den Violinensaiten. »Nur nicht so melodramatisch.«
    »Ich bin nicht melodramatisch. Noch ein paar Sekunden länger, und mir wäre der Kopf geplatzt. Was vielleicht auch nicht schlecht gewesen wäre. Dann müsste ich wenigstens dieses Katzengejammer nicht mehr ertragen.«
    Sherlock hatte das Gefühl, als würde sein Selbstbewusstsein wie ein Laubblatt im Herbst dahinwelken. »So mies war es nun auch wieder nicht«, protestierte er.
    »Genau das ist dein Problem«, sagte Stone. »Dass du nämlich gar nicht weißt, worin dein Problem besteht. Und wenn dir das nicht klar ist, kannst du auch nichts daran ändern.«
    Er rieb sich den Nacken und stolzierte ein paar Schritte davon, offensichtlich von der verzweifelten Frage gequält, wie man Sherlock nur unmissverständlich klarmachen konnte, was er falsch machte. Stone trug ein lose sitzendes, gestreiftes Hemd, dessen Ärmel er grob aufgekrempelt hatte, und eine Weste, die offensichtlich von einem ordentlichen Anzug stammte. Seine Hose jedoch war aus rauem Cord, und die Stiefel bestanden aus abgewetztem Leder. Schließlich wandte er sich abrupt um und musterte Sherlock einen Augenblick lang. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Verblüffung – gepaart mit etwas, bei dem es sich, wie Sherlock beklommenen Herzens feststellte, um Enttäuschung handelte.
    Sherlock wandte sich ab. Er wollte diesen Ausdruck einfach nicht in dem Gesicht des Mannes sehen, der für ihn sowohl ein Freund als auch so etwas wie ein älterer Bruder geworden war.
    Willkürlich ließ er den Blick im Raum umherschweifen, um Stone nicht in die Augen sehen zu müssen. Sie befanden sich auf dem Dachboden eines alten Gebäudes in Farnham. Stone hatte in der Etage darunter ein Zimmer gemietet. Doch da seine Vermieterin einen Narren an ihm gefressen hatte, gestattete sie ihm, auf dem weiträumigen Dachboden Violine zu üben – und dort auch seinen bisher einzigen
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