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Wyrm

Wyrm

Titel: Wyrm
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gestalt in unentwegter Bewegung, die noch dazu von der Blickrichtung seiner Augen abhängig war. Auch mit seinen Beinen stimmte etwas nicht. Entweder er trug einen dicken Verband unter der Hose, oder sein rechtes Knie war so unförmig angeschwollen, dass es den zerschlissenen Stoff beinahe zu sprengen drohte.
    Dies alles aber war nichts im Vergleich zu seinem Gesicht. Seine rechte Hälfte war verwachsen: Stirn und Augenbraue schienen ein gutes Stück nach unten gerutscht zu sein und dabei an Größe zugenommen zu haben, doch wo das Auge, die Nasenflügel und der rechte Mundwinkel sein sollten, wucherte ein Fladen aus rotem, nässendem Fleisch, dessen Ausläufer bis über das Ohr hinauf- und so weit am Hals hinunterwuchsen, dass sie im Kragen der schäbigen schwarzen Jacke verschwanden. Das Haar auf dieser Seite des Schädels war dünn und strähnig, und an vielen Stellen schimmerte die nackte, wie es schien, entzündete Kopfhaut durch. Morrisons linke Gesichtshälfte war vollkommen unversehrt. Wäre die rechte Hälfte anders gewesen, so hätte Morrison vermutlich sogar gut ausgesehen: ein kräftiges, markantes Gesicht, in das die Jahre und die Witterung ihre Spuren gegraben hatten, ohne ihm indes wirklich etwas anhaben zu können. So aber schien die Unversehrtheit dieses halben Antlitzes die Verwüstungen auf der anderen Hälfte nur noch zu betonen.
    »Hams mich jez lang genuch anestarrt?«, fragte Morrison.
    Coppelstone fuhr spürbar zusammen. Morrisons Stimme hatte einen schrillen, unangenehmen Klang, und seine Art zu sprechen erschien sehr mühsam; als setzten sich die Verwachsungen auch im Inneren seines Körpers fort, sodass seine Stimmbänder nicht mehr mit der gewohnten Mühelosigkeit funktionierten, sondern zu jedem einzelnen Wort gezwungen werden mussten. Außerdem hatte er natürlich recht: Coppelstone begriff plötzlich, dass er seit mindestens einer Minute dagestanden und dieses zerstörte Gesicht angestarrt hatte.
    Eine Entschuldigung hätte die Situation erst vollends peinlich gemacht, und so räusperte sich Coppelstone nur, straffte seine Gestalt noch einmal und sagte: »Mister Morrison, nehme ich an, Sir?«
    Morrison blinzelte mit seinem einen verbliebenen Auge und sagte: »Keina nennt mich Mista. Aar ich bin Morrisn. Wa wollnse hie? Hamse sich verirrt?«
    Es war Coppelstone unmöglich, zu sagen, ob Morrison nun einen besonders fürchterlichen Slang sprach, oder seine Behinderung es ihm unmöglich machte, deutlicher zu reden. Auf jeden Fall war es ihm unangenehm, ihm zuzuhören.
    »Mein Name ist Coppelstone, Mister Morrison«, antwortete er. »Joffrey Coppelstone. Ich bin der stellvertretende Direktor des Straßenbauamtes in Providence.«
    »Providence. So.« Morrison kniff nun auch noch das intakte Auge zu und schien einen Moment in sich hineinzulauschen, als müsste er über die Bedeutung dieses Wortes nachdenken. »Dann sinse weit wech von zhause«, sagte er schließlich.
    »Oh, so weit nun wieder nicht«, antwortete Coppelstone. Es fiel ihm immer schwerer, Morrison anzusehen. Sein Verstand sagte ihm, dass Morrison ein bedauernswerter Mann war, der nichts anderes als sein Mitleid verdiente. Zugleich aber empfand er einen immer stärker werdenden Ekel vor diesem verwachsenen Gesicht, der allmählich an körperliche Übelkeit grenzte. »Das ganze Gebiet von Providence hinunter nach Arkham gehört zu meinem Bezirk, wissen Sie? Ihre Farm übrigens auch.«
    »Mein Farm gehört mia«, antwortete Morrison. Seine aufgedunsene Hand strich über den Kolben der doppelläufigen Schrotflinte, die er in der Armbeuge trug wie eine Mutter ihren Säugling. Coppelstone war nicht sicher, ob in der Geste irgendeine Art von Drohung lag, hielt es aber für besser, dies vorauszusetzen. Waiden hatte ihn gewarnt. Morrison war nicht nur schwierig, sondern mochte auch durchaus gefährlich werden.
    »Das bestreitet auch niemand«, sagte er hastig. »Trotzdem ist es notwendig, dass wir uns unterhalten, Mister Morrison. Sie wissen doch, weshalb ich gekommen bin. Ich bin sicher, Mister Waiden hat Ihnen gesagt, dass die Angelegenheit dringend einer Klärung bedarf.«
    Er war sicher, mit diesem – bewusst – komplizierten Satzgebilde Morrisons Auffassungsgabe hoffnungslos überfordert zu haben; eine Taktik, mit der er schon mehr als einmal Erfolg gehabt hatte. Es bedurfte nicht immer einer Waffe, um jemanden einzuschüchtern. Tatsächlich antwortete Morrison auch nicht, sondern sah ihn nur verständnislos an, sodass
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