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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof
Autoren: Axel Hacke
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Alte habe das »auf« bloß aus metrischen Gründen angefügt; ihm wäre sonst der Versrhythmus zum Teufel gegangen. Hätte er übrigens geschrieben »Das Allerstarrste freudig abzuschmelzen«, wäre es das Gleiche gewesen – zwischen Auf- und Abschmelzen ist kein Unterschied, immer wird Hartes weich und Festes flüssig.
    In Ganghofers Roman Das große Jagen findet sich der Satz: »Würdevoll, die Amtsmiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, betrat der Landrichter … den stillgewordenen Hofraum.« Aber hier bedeutet »aufschmälzen«: einer Sache etwas hinzuzufügen, so wie man Maultaschen oder Brotsuppe mit Fett aufschmälzt, nicht wahr? Vor Jahren noch hätte man gesagt: »Frank Lehmann, die Berichterstattermiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, verkündet uns Tag für Tag das Abschmelzen der Aktienkurse.« Sie erinnern sich an Lehmann? Das war jener Herr, der früher vor der Tagesschau die Börse kommentierte, lustig wie im Kasperltheater.
    Man wartete immer, dass einer kam und ihm mit Kasperls Klatsche auf den Kopf haute. An manchen Tagen wollte man’s am liebsten selbst tun.
    Was noch mal das Ehegattensplitting angeht, so handelte es sich bei seinem Abschmelzen um eine Steuererhöhung, wenn ich alles richtig verstanden habe. Seltsam: Gewinne, Aktienkurse, Vermögen, auch die Polkappen – alles schmilzt ab. Aber die Zeiten werden immer kälter und härter.
AUSGEMACHTENUDELTUCKE
    Dank eines weit gespannten Leserkorrespondentennetzes bin ich seit einiger Zeit in der Lage, über kulinarische Entwicklungen in aller Welt zu berichten, von denen man anderswo nicht mal etwas ahnt (→ Drahthuhn , Fischtageszeitung , Huhntorte ). In diesem Kapitel möchte ich auf ungewöhnliche gastronomische Ideen rund um den Globus hinweisen. Bitte bedenken Sie: Jedes Küchengenie hat namenlos begonnen, und was heute noch ohne Aufsehen in Quedlinburg oder der Bretagne aufgetischt wird, kann morgen schon in berühmten Restaurants Münchens, Hamburgs oder Berlins auf dem Teller liegen.
    Ich habe mir erlaubt, die Zuschriften nach Länderküchen zu gliedern.
    Deutsche Küche . Hier ist von einer erstaunlichen Entwicklung zu berichten, zuerst von Familie B. bei einem Ausflug in Quedlinburg entdeckt, auf dem Weg zum Burgberg. Dort wurde neben Schweinebraten auch »Bauernmädchen mit Rotkraut und Klösse« angeboten. Kein Einzelfall! Denn in Kulmbach, im Bistro einer dortigen Metzgerei (Frau F. schickte mir das Inserat), gibt es: »Omas Saures Fleisch mit Baumwollnem Kloß«. Und Frau E. berichtet aus der Kantine ihrer Firma in München, dort habe eines Montags »Fenchel-Organsuppe« auf dem Speiseplan gestanden.
    Ist es zu fassen? Nach der nouvelle cuisine ein nouveau cannibalisme ? Das kann jeden treffen, wie ich selbst von Leser K. erfahren musste, der in der Münchner Giselastraße vor einem Lokal ein Schild fotografierte, auf dem es hieß:»Heute: Gebacken Hackefleisch mit Kartoffelen In tomaten Soß u. Basmati Reis«.
    So schnell kann es gehen. Da ich selbst noch am Leben bin und keine Körperteile fehlen … Ein Familienangehöriger? Ein Namensvetter? Wir zählen jetzt jeden Tag beim Abendessen durch.
    Ob übrigens die Oma in Kulmbach ihren Beilagenkloß noch selbst gestrickt hat? Die Mitarbeit von Familienmitgliedern in der Küche ist ja gelegentlich im Gastgewerbe ohnehin etwas grenzwertig, wie ich aus der Zuschrift von Frau L. und Herrn H. aus Biberbach erfuhr. Sie ließen mir das Exemplar einer Speisekarte des Highlander Hotel irgendwo in Großbritannien zukommen, auf der zunächst ein vegetarisches Gericht mit der knappen Beschreibung »Pfanne Hat Mittelmeergemüse Gebraten« annonciert wird, die nächste Speise aber schon so lautet: »Frischer Örtlicher Lachssalat Garniert Hat, der in Zitrone & Estragon sich Erschlichen Worden Ist, und Hat Sanft auf einem Bett von Gemischt Verläßt Gehockt«. Das ist wahrhaft schön gesagt, und wer nicht böswillig ist, weiß auch ungefähr, was gemeint ist. Anscheinend handelt es sich beim Highlander Hotel um einen Familienbetrieb, bei dem, wie gesagt, alle mitarbeiten müssen, denn am Schluss heißt es: »Alle gediente mit Küchenchef’s Jahreszeitlich Gemüse auftischt, und Baby Hat Kartoffeln Gekocht .«
    Sollte halt nur das Jugendamt nichts davon erfahren.
    Italienische Küche . Hier scheinen sich ähnliche Ideen Bahn zu brechen, wenn auch zurückhaltender. Eine Runde von Freunden (ich war leider nicht dabei) entdeckte auf Elba »Fisch mit Weib und frisches Tomatensoße«
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