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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof
Autoren: Axel Hacke
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Herr Dr. H., seines Zeichens Philologe in München, mir von einem seiner Kollegen in Weimar berichtete: Der erhielt eines Tages das Schreiben eines japanischen Germanisten, welches, so H., in die »unübertreffliche Formulierung« mündete: »Mit kochendheißem Dankgebet.«
    Ein bisschen spezieller, weil persönlicher ist, was ich einem Schreiben von Leser T. aus Waldshut entnehme, der in seiner Familie vor Jahren eine französische Austauschschülerin zu Gast hatte, Anne aus Blois war das. Kaum nach Blois zurückgekehrt, schrieb Anne einen Brief, dankte für den angenehmen Aufenthalt und schloss mit einem besonderen Gruß an die Tochter: »Und viele Nordwinde für Petra.« Ein Rätsel. Bis man im Lexikon nachschlug und entdeckte, dass Anne wohl hatte schreiben wollen: »Und viele Küsse für Petra«. Kuss bzw. Wangenkuss heißt bise im Französischen, schlägt man aber unter bise nach, findet sich als erste deutsche Bedeutung »Nordwind«, dann erst »Wangenkuss«. Aber ist ein Nordwind – zumal in einem heißen Sommer – nicht ein ganz wunderbarer Gruß aus der Fremde?
    Bei zu viel Nordwind kann ein Brief allerdings auch enden wie der, den vor Jahren eine meiner Leserinnen bekam. Er war unterzeichnet mit den Worten »Nach Diktat vereist«. Kaum hatte ich davon in einer Lesung dem Publikum berichtet, meldete sich Frau F. aus Köln, die den Abschiedsbrief einer aus der Firma scheidenden Kollegin zitierte. Er endete so: »Damit verbleiche ich mit freundlichen Grüßen.«
ANSCHLUSSMOBILITÄT
    Was ich an der Deutschen Bahn immer besonders geliebt habe, war, dass sie eine eigene, ganz unverwechselbare Sprache hat (→ Fahrgastwunsch , Übergangsreisender ), die einem immer neu zu denken gibt. In der es Wörter gibt wie »Anschlussmobilität«, das ich vor Jahren in der Bahn-Zeitschrift mobil entdeckte.
    Was damit gemeint ist?
    Einfach, dass man auch nach Verlassen des Zuges nicht stehen bleibt, sondern sich weiter bewegt, zum Beispiel mit Call a Bike oder DB Carsharing , ihrerseits ganz neue Wörter aus dem Bahnsprech. Man kann natürlich auch weiter gehen . Oder sich von der Ehefrau mit dem Auto abholen lassen, gute alte Formen der Anschlussmobilität, für die wir aber bisher einfach kein Wort hatten. Solche Wörter erfindet die Bahn für uns, da ist sie ganz groß, das macht ihr keiner nach.
    Leser T. schickte mir eine E-Mail, in der er beschrieb, was er auf der Anzeigetafel las, als er von München aus mit dem ICE nach Mannheim fahren wollte: »Zug verkehrt in umgekehrter Zugreihung.«
    Das sind Momente, in denen der Reisende sich wünscht, es gäbe ein kleines Lexikon der Bahnsprache, in dem man nachschlagen könnte, was eine »Zugreihung« ist, sodass man sich dann selbst vorstellen könnte, was es bedeutet, wenn man diese Zugreihung umkehrt. Herr T. schrieb, er habe dank der Wagennummerierung seinen reservierten Sitzplatz gefunden und gleich darauf den »Zugbegleiter«(auch so ein Wort!) gehört, wie er über Lautsprecher bekannt gab: »Dieser Zug verkehrt heute in umgereihter Zugreihung…«
    Hä?
    »… das heißt, die erste Klasse befindet sich am Zuganfang.«
    Aha. Und wo war noch mal der Zuganfang?
    Am Bahnsteigende.
    Apropos Anfang und Ende. Da fällt mir ein, was der Zugchef einmal auf einer Fahrt nach Westdeutschland mitteilte: dass nämlich der Zug einen »Zuglaufteil« mit sich führe, der nur bis Köln »verkehre« – und dann? Darüber informierte der Zugchef dergestalt, dass er sagte: »Die Wagen verbleiben in Köln und enden dort.« Und auch Herr H. aus Erlangen schrieb mir, er habe sich neulich »in der Anfahrt« (ach, seufz!) auf Nürnberg befunden, als es hieß: »Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen!«
    Dazu bemerkt H. in seinem Brief: »Nachdem ›alles‹ ausgestiegen ist, werfe ich einen wehmütigen Blick auf den noch ganz rüstig aussehenden Zug, der hier endet, und bin froh, daß ich mit meinem Gepäck dem Ende entrinnen konnte!« In der Zeitung las ich dann, die Bahn bemühe sich nun um einen neuen Ton in ihren Ansagen, man werde die Bahnsprache reformieren und zum Beispiel nicht mehr vom »Wagen mit der Ordnungsnummer sieben« reden, wenn man auf den Speisewagen verweise, sondern einfach vom »Wagen Nummer sieben«.
    Eine Sprachwelt geht unter. Endet hier.
    Schade.
AUFSTELLUNGSORT DES SEINS
    Das Reisen ist ja in den Zeiten der Pauschalreisen und Billigflieger bis zur Unerträglichkeit so banalisiert worden, dass der empfindsame Mensch am liebsten nur zu Hause bliebe. Doch lässt
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