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Worm

Worm

Titel: Worm
Autoren: Mark Bowden
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Freizeitaktivitäten immer mehr darauf angewiesen sind, dass sie mit einer Vielzahl von Programmen umgehen können, haben praktisch keine Ahnung davon, wie diese Dinge eigentlich funktionieren. Das Innenleben von Mainframes, Betriebssystemen und Netzwerken gilt nicht nur als schlicht unbegreiflich, sondern als prinzipiell nicht ergründbar oder, schlimmer noch, als des Verstehens gar nicht wert, ungefähr so, wie viele Leute sich damit zufriedengeben, Elektrizität als eine Art Voodoozauber zu betrachten. Mit der Entdeckung der Elektrizität machte die technische Seite der modernen Welt einen gewaltigen Sprung nach vorn, um dann mit dem Elektromagnetismus in das Reich des hoffnungslos Unerklärlichen einzutauchen  – weshalb unser Alltagsleben heute in strikter Parallelität zu einer rätselhaften Technodimension koexistiert. Wir haben tagtäglich mit der Computertechnologie zu tun, so real, wie das nur möglich ist, ja sogar lebensnotwendig, nur  … nun  … eben nicht real. Virtuell. Sie verschickt Signale durch die Luft um uns herum. Sie sitzt in Maschinen ohne sichtbare bewegliche Teile. Diese Technodimension ist erfüllt von  … von was genau eigentlich? Wohlgeordneten Elektronenzügen? Binären Ladungen?
    Die digitale Ranch, die Phil überwacht  – es gibt sie so natürlich nicht, zumindest nicht im Sinne von Staub und Sand und Mesquitbäumen, am Himmel kreisenden Bussarden und in der Ferne bläulich leuchtenden Felskuppen. Sie existiert nur im Sinne von Kapazitäten und Potenzialen. Begriffe oder Konzepte wie Bits und Bytes, Domainnamen, ISP s, IPA s, RPC s, P2P-Protokolle, Endlosschleifen und Cloud Computing fallen strikt in den Zuständigkeitsbereich der Geeks und Nerds, die überhaupt derlei Dingen Aufmerksamkeit schenken und sich auf eine undurchschaubare und irgendwie beunruhigende Weise als immer unerlässlicher für das reibungslose Funktionieren unserer Zivilisation erweisen. Sie bleiben per Definition und getreu ihrem Stereotyp Sonderlinge, weltabgewandte, angeblich unter Borderline-Autismus leidende und im Allgemeinen für alle außerhalb ihres Stammes undurchsichtige Gestalten  – »Sie sind Mutanten , geboren mit Fähigkeiten, die weit über die gewöhnlicher Menschen hinausreichen.« Der verstorbene MIT -Professor Joseph Weizenbaum identifizierte und beschrieb die Spezies in seinem 1976 in der Morgendämmerung des digitalen Zeitalters erschienenen Buch Die Macht der Computer und die Ohnmacht des Menschen :
    Überall, wo man Rechenzentren eingerichtet hat, d. h. an zahllosen Orten in den USA wie in fast allen Industrieländern der Welt, kann man aufgeweckte junge Männer mit zerzaustem Haar beobachten, die oft mit tief eingesunkenen, brennenden Augen vor dem Bedienungspult sitzen; ihre Arme sind angewinkelt, und sie warten nur darauf, daß ihre Finger  – zum Losschlagen bereit  – auf die Knöpfe und Tasten zuschießen können, auf die sie ebenso gebannt starren wie ein Spieler auf die rollenden Würfel. Nicht ganz so erstarrt sitzen sie oft an Tischen, die mit Computerausdrucken übersät sind, und brüten darüber wie Gelehrte, die von kabbalistischen Schriften besessen sind. Sie arbeiten bis zum Umfallen, zwanzig, dreißig Stunden an einem Stück. Wenn möglich, lassen sie sich ihr Essen bringen: Kaffee, Cola und belegte Brötchen. Wenn es sich einrichten lässt, schlafen sie sogar auf einer Liege neben dem Computer. Aber höchstens ein paar Stunden  – dann geht es zurück zum Pult oder zum Drucker. Ihre verknautschten Anzüge, ihre ungewaschenen und unrasierten Gesichter und ihr ungekämmtes Haar bezeugen, wie sehr sie ihren Körper vernachlässigen und die Welt um sich herum vergessen. Zumindest solange sie derart gefangen sind, existieren sie nur durch und für den Computer. Das sind Computerfetischisten, zwanghafte Programmierer. Sie sind ein internationales Phänomen.
    Seitdem hat sich der Stamm der Geeks geöffnet und zählt nun auch noch ganz andere, weniger eigenbrötlerische Charaktere zu seinen Mitgliedern  – Phil spielte in der Highschool viel Basketball und ging sogar mit Mädchen aus. Außerdem muss sich niemand mehr über Ausdrucke beugen  – heute findet alles auf dem Bildschirm statt. Aber der Stamm, der Tribe, ist nach wie vor sehr international, und seine Angehörigen sind immer noch besessen von ihrer Arbeit, rund um die Uhr via E-Mail und eine Vielzahl dezidierter Chatkanäle miteinander vernetzt. Auf gewisse Weise ist der Stamm streng egalitär. Ein
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