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Woodstock '69 - die Legende

Woodstock '69 - die Legende

Titel: Woodstock '69 - die Legende
Autoren: Frank Schaefer
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im Rekurs auf Norman Mailers »The White Negro« zu Recht schreibt. Aber das waren die 50er – Mailers Buch ist eben schon 1957 erschienen. Näher dran am Bewusstsein der zeitgenössischen Mittelklasse-Dropouts ist Leslie A. Fiedler mit seiner kollektivpsychologischen Studie »The Return of the Vanishing American« von 1968, die in der Erscheinung des Hippies die »Wiedergeburt des Indianers« (so der Untertitel der deutschen Übersetzung) erkennen will. Woodstock Ventures tragen dem Zeitgeist insofern Rechnung, als man es sich einiges kosten lässt, das Institute of American Indian Arts für einen eigenen Ausstellungspavillon zu verpflichten. Und als sich Abbie Hoffman mit den anderen »Chicago Eight« einige Wochen nach dem Festival in Chicago vor einem Schwurgericht verantworten muss, weil man sie beschuldigt, ein Jahr zuvor die Störaktionen beim Konvent der Demokratischen Partei angeführt zu haben, kommt es zu folgendem denkwürdigen Dialog zwischen Hoffman und dem vorsitzenden Richter Weinglass:
    W EINGLASS : Würden Sie Ihren Namen nennen?
    H OFFMAN : Mein Name ist Abbie. Ich bin ein Waisenkind aus Amerika.
    W EINGLASS : Wo wohnen Sie?
    H OFFMAN : In Woodstock Nation.
    W EINGLASS : In welchem Staat liegt das?
    H OFFMAN : Im Bewusstsein. Es ist eine Nation entfremdeter junger Leute. Wir tragen sie in unseren Köpfen mit uns herum ebenso wie die Sioux-Indianer die Sioux Nation in ihren Köpfen mit sich herumtrugen.
    W EINGLASS : Eine Adresse genügt. Bloß nichts über Philosophie oder Indianer.« 64
    Im Musiker-Soziotop mag das noch anders sein, aber für den Mainstream-Hippie hat der »Neger« als Leitbild und Identifikationsparadigma an Bedeutung verloren – er wird durch den Indianer ersetzt. 65
    Hinzu kommt, dass die besondere Vortragssituation den Gospel nicht nur säkularisiert, sondern auch so zurichtet, dass er gar nicht mehr als schwarzer Song wahrgenommen zu werden brauchte. Dass Richie Havens prinzipiell stärker als Sly Stone und Jimi Hendrix die »schwarze Kultur« personifizierte, wie Diederichsen behauptet, mag sonst so sein, aber nach allem, was man von Havens’ Auftritt weiß, ist das an diesem späten Nachmittag sicher nicht der Fall. Havens beginnt mit einem wohlfeilen Protest-Lied gegen Vietnam, er singt leicht angekitscht vom langsamen Niedergang einer Liebe (»I Can’t Make It Anymore«), er covert, wenn auch sehr frei, drei Beatles-Songs (»Strawberry Fields Forever«, »Hey Jude« und »With A Little Help From My Friends«), lobt in den Ansagen das »groovy« Auditorium, von dem man morgen in der Zeitung lesen werde – er hat sich hier voll assimiliert, er ist einer von ihnen. Und dann am Ende eines langen Sets spielt er »Freedom«. Diederichsen glaubt, sie hätten »eigentlich merken müssen, dass Freiheit und die Klage um den Verlust der Mutter und der Heimat nach ihrem Verständnis von Freiheit frappante Widersprüche sind, die einer Klärung bedurften«. 66 Aber nur wenn man den metaphorischen Sinn dieser Phrasen ausblendet und Havens so strikt beim Wort nimmt, wie er es hier tut. Emotionale Heimatlosigkeit, Verlorenheit und Einsamkeit, die sich »manchmal« anfühlt, als wäre man »so etwas wie ein Waisenkind«, konnten Heranwachsende zu allen Zeiten ganz gut nachempfinden, jedenfalls solange es so etwas wie Adoleszenz gibt. Und in den USA Ende der 60er Jahre, die in besonderem Maß kontaminiert waren vom Generationenkonflikt, von der Enttäuschung der Jüngeren gegenüber der Elterngeneration, vielleicht noch besser. Eine gute Stunde später wird John Sebastian etwas Ähnliches formulieren – in »Younger Generation«: »Why must every generation think their folks are square? / And no matter where their heads are, they know mom’s ain’t there.«
    Diese zunächst melancholische, in der Auflösung dann sakramentale Protest-Metaphorik ist also einerseits allgemeinverständlich und andererseits – nicht zuletzt durch die mantrahafte Wiederholung – auch suggestiv genug, dass die Woodstock-Gemeinde nicht die schwarze Passionsgeschichte zu annektieren braucht, um sich emotional davon befeuern zu lassen. Sie muss einfach nur das tun, was sie sowieso am besten kann, sich selbst feiern. Und nichts anderes geschieht hier. »Mr. Richie Havens … What’s better than to start with the beautiful Richie
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