Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
Richtige – doch darauf kam es auch gar nicht an. Worauf es ankam, das war, daß er sie so ernst nahm, daß sie für ihn noch etwas anderes war als ein Leib, den er gerne mochte und der ihm guttat.
    Manchmal, wenn sie irgend etwas ganz gedankenlos hingesagt hatte, konnte sie, von sich selbst überwältigt, ausrufen: »Ach, Wolf, ich bin so schrecklich dumm! Ich lerne und ich lerne auch gar nichts! Ich werde ewig dumm bleiben!«
    Aber auch dann wieder lachte er nicht über solchen Ausruf, sondern ging freundlich ernst darauf ein und meinte, im Grunde sei es natürlich ganz egal, ob man wisse, wie Käse gemacht werde. Denn so gut wie der Käsmacher werde man es doch nie wissen. Dummheit sei, wie er glaube, etwas ganz anderes. Wenn man sich nämlich sein Leben nicht einzurichtenwisse, wenn man nichts aus seinen Fehlern lerne, wenn man sich immer wieder unnötig über jeden Dreck ärgere und wisse doch ganz genau, in zwei Wochen sei er schon vergessen, wenn man mit seinen Mitmenschen nicht umgehen könne – ja, all dies, das scheine ihm rechte Dummheit. Ein wahres Musterbeispiel sei da seine Mutter, die, soviel sie auch gelesen und erfahren habe und so klug sie auch sei, ihn nun glücklich mit lauter Liebe und Besserwissen und Gängelei aus dem Hause getrieben habe, und er sei doch wirklich ein geduldiger, umgänglicher Mensch. (Sagte er.) Sie, Petra, dumm –? Nun, sie hätten sich noch nicht einmal gestritten, und wenn sie auch oft kein Geld gehabt hätten, schlechte Tage hätten sie darum doch nicht gehabt und grimmige Zornesmienen auch nicht. Dumm –?! Was Peter denn meine –?
    Natürlich genau das, was Wolf auch meinte! Schlechte Tage? Grimmige Mienen? Sie hatten die allerherrlichste Zeit von der Welt miteinander gehabt, die schönste Zeit ihres ganzen Lebens – schöner konnte es nun überhaupt nicht mehr werden! Im Grunde war es ihr ja auch ganz egal, ob sie dumm oder ob sie nicht dumm war (klug kam trotz all seiner Erklärungen nicht in Frage), solange er sie nur gerne hatte und ernst nahm.
    Schlechte Tage – wahrhaftig! Sie hatte es in ihrem Leben und vornehmlich im letzten Jahre gut genug gelernt, daß Tage ohne Geld wahrhaftig keine schlechten Tage zu sein brauchten. Genau in dieser Zeit, da alles täglich dem Dollarkurs entgegenfieberte, da fast aller Gedanken sich um Geld, Geld drehten, um Zahlen, um bedrucktes Papier, um mit immer mehr Nullen bedrucktes Papier – genau in dieser Zeit hatte dieses kleine, törichte Mädchen die Entdeckung gemacht, daß Geld gar nichts ist. Daß es unsinnig ist, sich um Geld – nämlich um das fehlende – auch nur eine Minute Gedanken zu machen – es war ganz gleichgültig!
    (Nur heute morgen nicht, weil sie solch übel machenden Hunger hatte und weil doch um ein Uhr dreißig die Gebühren bezahlt werden mußten.)
    Wie hätte sie, zitternd um das Auskommen des nächsten Tages, auch nur eine ruhige Glücksminute an der Seite des Fahnenjunkers a. D. Wolfgang Pagel leben können, der es nun schon ein reichliches Jahr fertiggebracht hatte, ihren ganzen Lebensunterhalt – bei dem kleinsten Betriebskapital von der Welt – Abend für Abend vom Spieltisch zu holen –? Abend für Abend, um elf herum, gab er ihr einen Kuß und sagte: »Also denn, Kleines!« und ging, während sie ihm nur lächelnd zunickte. Denn sie durfte kein Wort sagen, weil jedes Wort eine Unglück bringende Bedeutung haben konnte.
    In der ersten Zeit, nachdem sie erfahren hatte, daß diese ewigen nächtlichen Wege kein »Fremdgehen« bedeuteten, sondern »Arbeit« für ihrer beider Auskommen, hatte sie aufgesessen bis drei, vier … Um ihn dann ankommen zu sehen: bleich, mit nervösen Bewegungen, die Schläfen eingefallen, das Haar noch feucht, der Blick flackernd. Sie hatte seine fieberischen Berichte angehört, sein Triumphieren, wenn es gut gegangen war, seine Verzweiflung, wenn er verloren. Stumm hatte sie sein Schelten über die und jene Frau angehört, die ihm seinen Einsatz weggenommen, oder seine grübelnde Verwunderung, warum an diesem Abend grade Schwarz siebzehnmal hintereinander gekommen war und sie, die schon an der Schwelle des Reichtums gestanden, in die völlige Armut zurückgeschleudert hatte.
    Sie verstand nichts vom Spiel, seinem Spiel, dem Roulett, soviel er ihr auch davon erzählte (er hatte ihr rundweg abgeschlagen, sie einmal »dorthin« mitzunehmen). Aber sie verstand sehr wohl, daß dies sein Zoll war, den er an ihr Leben zahlte, daß er darum so freundlich, so unbekümmert,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher