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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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sah er sie überlegend unter der gesenkten Stirn hervor an. Sie erwarte doch wohl nicht, daß er Geld habe?
    Nein. Sie habe nicht darüber nachgedacht. Es sei ihr auch gleich.
    Er sei Fahnenjunker a. D., also ohne alle Bezüge. Ohne Stellung. Ohne festes Einkommen. Ja, eigentlich ohne Einkommen.
    Ja, es sei recht, nicht darum habe sie gefragt.
    Er erkundigte sich nicht, warum sie gefragt habe. Er fragte überhaupt nichts weiter. Später erst fiel ihr ein, daß er sehr viele Fragen hätte stellen können, sehr unangenehme. Etwa, ob sie mehr Männer schon so gebeten habe, ob sie ein Kind erwarte – tausend ekelhafte Dinge. Aber er stand nur da und sah sie an. Schon da war sie überzeugt, daß er ja sagen würde. Müßte. Es war etwas zu Geheimnisvolles, daß sie ihn hatte fragen müssen. Sie hatte nie vorher daran gedacht. Sie war auch – damals – nicht die Spur verliebt in ihn. Es war eine ganz gewöhnliche Nacht gewesen.
    »Finden Sie, daß Konstanze sich richtig verhält?« hatte er den Titel eines damals vielgespielten Stückes zitiert. Zum erstenmal sah sie sein Zwinkern mit dem einen Auge, wenn er scherzte, und die Fältchen im Augenwinkel.
    »Doch!« sagte sie.
    »Na schön«, sagte er gedehnt, »wo einer nicht satt wird, können zwei kaum verhungern. Also los! Bist du fertig?«
    Es war ein seltsames Gefühl gewesen, neben ihm die Treppehinabzusteigen, in einem ekligen Mietshause, neben einem Mann, zu dem man nun gehörte. Einmal, als sie über einen schlecht gelegten Läufer stolperte, hatte er »Hoppla!« gesagt, aber ganz gedankenlos, wahrscheinlich war er sich ihrer Nähe gar nicht recht bewußt.
    Plötzlich blieb er dann stehen. Sie erinnerte sich genau. Sie waren unten angelangt, es war in der falschen Marmorpracht und dem gipsernen Stuck des Eingangs. »Übrigens heiße ich Wolfgang Pagel«, sagte er mit einer leise angedeuteten Verbeugung.
    »Sehr angenehm«, antwortete sie, ganz wie es sich gehörte. »Petra Ledig.«
    »Ob es angenehm ist, wird sich weisen«, hatte er gelacht. »Komm, Kleines. Ich werde dich Peter nennen. Petra ist mir einesteils zu biblisch, andernteils zu steinig. Aber Ledig ist gut und kann so bleiben.«

3
    Als Wolfgang Pagel so zu ihr geredet hatte, war Petra noch viel zu erfüllt von dem Geschehenen gewesen, um groß auf seine Worte zu achten. Später lernte sie von ihm, daß der Name Petra soviel wie Fels bedeute und daß ihn zuerst jener Jünger Petrus getragen hatte, auf dem Christus wie auf einem Felsen seine Kirche bauen wollte.
    Sie lernte überhaupt in dem einen Jahre gemeinsamen Zusammenlebens viel von Wolfgang. Nicht, daß er etwas Lehrhaftes gehabt hätte. Aber es war unvermeidlich, daß er in den langen Stunden ihres Beisammenseins – denn er war ja ohne rechte Beschäftigung – viel mit ihr sprach, bloß, weil sie nicht immer schweigend in ihrer Höhle beieinander hocken konnten. Und als Petra erst Zutrauen gewonnen hatte, fragte sie ihn oft etwas, bloß, um ihn vom Grübeln abzuhalten oder weil es ihr Spaß machte, ihn reden zu hören. So etwa: »Wolf, wie wird eigentlich Käse gemacht?« Oder: »Wolf, ist es wirklich wahr, daß ein Mann im Monde wohnt?«
    Er lachte sie nie aus, auch wies er ihre Fragen nie zurück. Er antwortete ihr langsam, überlegend, ernst – denn auch mit seiner Wissenschaft aus der Kadettenanstalt sah es nicht berühmt aus. Und wußte er nicht Bescheid, so nahm er sie mit und ging mit ihr in eine der großen Bibliotheken und schlug und las nach. Sie saß dann ganz stille da, irgendein Büchlein vor sich, in dem sie doch nicht las, und sah feierlich-beklommen in den großen Raum, in dem die Leute so still saßen und sachte die Blätter umwandten, so still, als rührten sie sich im Schlaf. Es kam ihr immer wie ein Märchen vor, daß sie, eine kleine Verkäuferin, ein uneheliches Kind, das grade am Versacken gewesen war, nun in solche Häuser gehen durfte, in denen die gebildeten Menschen saßen, die sicher nie etwas erfahren hatten von all dem Schmutz, den sie so genau hatte kennenlernen müssen. Allein hätte sie sich nie hierhergewagt, obwohl ihr die – stumm geduldeten – Elendsgestalten an den Wänden bewiesen, daß hier nicht nur Weisheit gesucht wurde, sondern auch Wärme, Licht, Sauberkeit und eben das, was auch ihr aus den Büchern aufstieg: feierliche Ruhe.
    Wußte dann Wolfgang genug, so gingen sie wieder hinaus, und er erzählte ihr, was er erkundet. Sie hörte ihm zu und vergaß es wieder oder behielt es auch, aber nicht das
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