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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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aussprechen, wenn nicht mit ihr?! Vor ihr braucht er sich doch nicht zu schämen, sie braucht er doch nicht zu belügen, sie versteht alles von ihm – nein, nicht! Aber sie billigt alles, von vornherein und blindlings! Verzeiht es. Verzeiht? Unsinn! Es ist alles recht, und wenn es ihn jetzt überkäme, zu toben, sie zu schlagen – es wäre schon notwendig gewesen.
    Petra Ledig (es gibt solche Namen, die ein Schicksal zu sein scheinen) war ein lediges Kind gewesen, ohne einen Vater. Später eine kleine Verkäuferin, von der nun verheirateten Mutter grade noch gelitten, solange sie ihr Monatsgehalt bis auf den letzten Pfennig als Kostgeld ablieferte. Aber es kam der Tag, da die Mutter sagte: »Mit dem Dreck beköstige dich selbst!« und nachrief: »Und wo du schlafen kannst, wirst du auch wissen!«
    Petra Ledig (es ist anzunehmen, daß der anspruchsvolle Name Petra der einzige Beitrag ihres unbekannten Vaters für ihre Lebensausrüstung war) – Petra Ledig war kein unbeschriebenes Blatt mehr mit ihren zweiundzwanzig Jahren. Ihre Reife war in keine geruhsame Zeit gefallen, Krieg, Nachkrieg, Inflation. Sie wußte schon, was es hieß, wenn die Herren im Schuhgeschäft der Verkäuferin den Schuh so bedeutungsvoll gegen den Schoß drückten. Manchmal nickte sie, traf den und jenen am Abend, nach Geschäftsschluß; und sie steuerte ihr Schifflein ein ganzes Jahr recht mutig durch, ohne völlig zu sinken. Sie brachte es sogar fertig, eine gewisse Auswahl zu treffen, eine Auswahl, die nicht so sehr von ihrem Geschmack als von der Furcht vor Krankheit bestimmt war. Stieg der Dollar einmal ganz schlimm und entwertete sich alles für die Miete Zurückgelegte zu einem Nichts, so bummelte sie auch einmal durch die Straßen, immer in Angst vor der »Sitte«. Bei einem solchen Bummel hatte sie Wolfgang Pagel kennengelernt.
    Wolfgang hatte seinen guten Abend gehabt. Er hatte ein wenig Geld, er hatte ein wenig getrunken. Dann war er immervergnügt, zu tausenderlei Dingen aufgelegt. »Komm mit, kleine Dunkle, komm mit!« hatte er über die ganze Straße gerufen, und es hatte so etwas wie ein Wettrennen zwischen einem schnurrbärtigen Sittenpolizisten und ihr gegeben. Aber die Autotaxe, eine fürchterliche Karre, hatte sie doch entführt zu einem Abend, nett, aber doch eigentlich einem Abend wie alle solche Abende.
    Dann war der Morgen gekommen, dieser graue, trostlose Morgen in dem Zimmer eines Absteigehotels, der immer so mutlos machte. Wo es einem wirklich einmal in den Kopf kommt zu fragen: Was soll das alles? Wozu lebst du?
    Wie es sich gehörte, hatte sie sich noch schlafend gestellt, als der Herr sich eilig anzog, auch er recht leise, um sie nicht zu wecken. Denn Morgengespräche danach waren unbeliebt, unerquicklich, weil man entdeckte, daß man sich plötzlich nicht das geringste mehr zu sagen hatte, ja, meistens, daß man sich unausstehlich war. Sie hatte nur durch die Lider zu blinzeln, ob er ihr auch das Geld auf das Nachtkästchen legte. Nun, er hatte das Geld hingelegt. Es nahm alles seinen ordnungsgemäßen Verlauf, es war kein Wort von Wiedersehen gesagt worden, er war schon an der Tür.
    Sie weiß nicht, wie es geschehen ist, was über sie gekommen ist, sie hat sich aufgesetzt im Bett und mit stockender Stimme leise gefragt: »Würdest du – würden Sie – ach, darf ich nicht mitkommen?«
    Er hatte erst nicht verstanden, ganz verblüfft hatte er sich umgedreht. »Wie bitte –?!«
    Dann hatte er gemeint, daß sie sich, neu in solcher Lage, vielleicht schämte, an Pensionsmutter und Portier vorbeizugehen. Er hatte sich bereit erklärt zu warten, wenn sie schnell machte. Aber, während sie sich hastig anzog, hatte es sich herausgestellt, daß es sich nicht um etwas so Einfaches, wie unbelästigt auf die Straße zu kommen, handelte. Das sei sie gewöhnt. (Sie war von der ersten Minute an völlig ehrlich zu ihm.) Nein, sie wollte ganz mit ihm mitkommen, überhaupt. Ob es denn nicht ginge? Oh, bitte, bitte!
    Wer weiß, was er sich dachte. Plötzlich hatte er keine Eile mehr. Er stand in dem grauen Zimmer – es war grade die schreckliche Morgenstunde kurz vor fünf, die die Herren immer zum Weggehen wählen, weil sie dann die erste Elektrische in ihre Wohnung bekommen. Sie können sich dann noch vor dem Büro frisch machen, und viele tun auch so, als hätten sie in ihren Betten gelegen, drehen sich schnell noch einmal darin um.
    Er tippte mit den Fingern nachdenklich auf einen Tisch. Mit seinen hellen grünlichen Augen
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