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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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Kaffeehausschildern, die nichts anzeigen als Bordelle – ist dem Rittmeister und Rittergutspächter und Mann Joachim von Prackwitz-Neulohe, der hierherkam, sehr gegen seinen Willen hierherkam, um mindestens sechzig Leute für die Ernte aufzutreiben – ist ihm, als wenn nun wirklich das Ende seines Marschierens ganz nahe wäre. Als könne er nun wirklich bald einmal das Kinn zurücknehmen, den Blick senken, den Fuß ruhen und sagen wie der Herrgott: Siehe da, es war alles sehr gut!
    Jawohl, eine gute, fast eine Bombenernte stand auf den Feldern,eine Ernte, die diese Verhungerten in der Stadt sehr wohl hätten gebrauchen können, und er mußte alles stehenlassen, einem jungen, etwas verlotterten Bengel von Inspektor übergeben und in die Stadt fahren und um Leute flehen. Denn es war seltsam und völlig unverständlich: je größer das Elend in der Stadt wurde, je knapper dort das Brot und je mehr nur noch das Land wenigstens die auskömmliche Nahrung bot, um so mehr drängten die Leute in die Stadt. Es war wirklich wie mit den Motten, die von der tötenden Flamme gelockt werden!
    Der Rittmeister lachte auf. Ja wahrhaftig, es sah wirklich so aus, als winke ihm ganz nahebei die himmlische Herrgottsruhe vom sechsten Schöpfungstage! Eine Fata Morgana, ein Oasenvorgespiegel, wenn der Durst ganz schlimm wird!
    Das Weibsbild, dem er gedankenlos ins Gesicht gelacht, gießt hinter ihm her einen ganzen Kübel, ein Jauchenfaß, ach was, eine ganze Jauchengrube unflätiger Schimpfereien aus. Der Rittmeister aber tritt in einen Laden, über dem, verdreckt und schief, ein Schild hängt: »Berliner Schnitter-Vermittlung«.

2
    Die Flamme steigt empor und sinkt, das Feuer, das eben noch brannte, ist erloschen – glücklich der Herd, der die Glut lange bewahrt! Funken laufen über die Asche, die Flamme sank zusammen, die Glut verglomm, aber noch ist Wärme da.
    Wolfgang Pagel sitzt in seinem feldgrauen, schon arg verbrauchten Waffenrock am Tisch. Er hat die Hände auf die leere Wachstuchplatte gelegt. Nun deutet er mit dem Kopf zur Tür. Sein eines Auge zwinkert, er flüstert: »Pottmadamm hat’s auch schon gewittert.«
    »Was?« fragt Petra, und: »Du sollst doch nicht zu Frau Thumann Pottmadamm sagen! Sie setzt uns noch raus.«
    »Bestimmt!« sagt er. »Heute gibt’s schon kein Frühstück mehr. Sie hat’s schon gewittert.«
    »Soll ich fragen, Wolf –?«
    »I wo. Wer viel fragt, kriegt keinen Kaffee. Warten wir.«
    Er kippt den Stuhl zurück, wippt und fängt an zu pfeifen: Erhebt euch von der Erde, ihr Schläfer allzumal …
    Er ist ganz unbekümmert, ganz ohne Sorgen. Durch das Fenster – der Vorhang ist nun zurückgezogen – kommt etwas Sonne in die graue, öde Höhle, was man so in Berlin Sonne nennt, was die Dunstschicht dem Sonnenlicht noch gelassen … Wie er hin und her schaukelt, leuchten einmal die breiten, leicht welligen Haarsträhnen auf, einmal das Gesicht mit den hellen, jetzt lustig funkelnden Augen, graugrünen.
    Petra, die sich nur seinen abgeschabten Sommermantel übergezogen hat, einen noch aus der Vorkriegszeit – Petra sieht ihn an, sie wird es nie müde, ihn anzusehen, sie bewundert ihn. Sie fragt sich, wie er es fertigbringt, sich in einem Schüsselchen mit einem halben Liter Wasser zu waschen und doch auszusehen, als habe er sich eine Stunde lang in einer Wanne geschrubbt. Sie kommt sich alt und verbraucht gegen ihn vor, obwohl sie ein Jahr jünger ist als er.
    Plötzlich hält er mit dem Pfeifen inne, er lauscht zur Tür: »Der Feind naht. Gibt es Kaffee? Ich habe Kohldampf noch und noch.«
    (Sie möchte sagen, daß sie auch Kohldampf hat, schon seit Tagen, denn das bißchen Frühstück mit den zwei Semmeln ist seit vielen Tagen ihre einzige Nahrung – nein, sie möchte es nicht sagen!)
    Der Schlurfeschritt auf dem Flur ist verhallt, die Etagentür klappt zu. »Siehst du, Peter! Pottmadamm ist bloß wieder mit dem Pott aufs Klo gegangen. Auch ein Zug der Zeit: alle Geschäfte werden auf Umwegen erledigt. Pottmadamm läuft mit ihrem Pott.«
    Er hat den Stuhl wieder zurückgekippt, er fängt wieder an zu pfeifen, unbekümmert, lustig.
    Er täuscht sie nicht. Sie versteht lange nicht alles, was er erzählt, sie hört nicht einmal so genau darauf hin. Es ist der Klang seiner Stimme, die leiseste Schwingung, kaum ihmselbst bewußt, sie hört’s doch: er ist nicht so lustig, wie er tut, nicht so unbekümmert, wie er sein möchte. Wenn er sich doch ausspräche – mit wem soll er sich denn
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