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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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nichts daraus.
    Es war ein vergebliches Bemühen. Manchmal hatte er auch sein Taschentuch in dieser Tasche. Was konnte es jetzt wieder für neue Scheine geben –? Fünfhunderttausendmarkscheine –? Millionenscheine? Was wußte sie –? Was würde eine Trauung kosten – eine Million? Zwei Millionen? Fünf Millionen – was wußte sie –?! Selbst wenn sie den Mut gehabt hätte, in die Tasche zu fassen, nachzuzählen, sie wußte immer noch nichts! Sie wußte nie etwas.
    Die Tasche war nicht dick genug.
    Langsam, daß die Bettfedern nicht knarrten, langsam, behutsam, angstvoll drehte sie sich nach ihm um.
    »Guten Morgen, Peter«, sagte er mit fröhlicher Stimme. Sein Arm zog sie gegen seine Brust. Sie legte ihren Mund auf seinen Mund. Sie wollte es nicht hören, jetzt wollte sie es nicht hören, was er sagte.
    »Ich bin vollkommen blank, Peter. Wir haben keine Mark mehr!« Und die Flamme stieg und stieg, lautlos. Ihre reine, weißbläuliche Hitze brannte die verbrauchte Luft des Zimmers rein. Immer noch hoben barmherzige Arme die Liebenden von jedem Liebeslager aus Dunst und Unruhe, aus Kampf, Hunger und Verzweiflung, aus Sünde und Schamlosigkeit hoch in den reinen, kühlen Himmel der Erfüllung.

ZWEITES KAPITEL
Berlin macht sich schwach

1
    Viele Straßen um den Schlesischen Bahnhof sind schlimm; damals, 1923, kam zu der Trostlosigkeit der Fassaden, den üblen Gerüchen, dem Elend, der öden, dürren Steinwüste eine wilde, verzweifelte Schamlosigkeit, Feilheit aus Elend oder Gleichgültigkeit, Geilheit aus der Gier, sich einmal selbst zu fühlen, selbst etwas zu sein in einer Welt, die in sausender, irrer Fahrt jeden mitriß, unbekannten Dunkelheiten zu.
    Der Rittmeister von Prackwitz, viel zu elegant in einen hellgrauen Anzug gekleidet, den ihm ein Londoner Schneider nach gesandten Maßen gefertigt, viel zu auffallend aussehend mit seiner schlanken Figur, dem schlohweißen Haupthaar über dem braun verbrannten Gesicht, mit den dunklen, buschigen Brauen und den dunkel glühenden Augen – der Rittmeister von Prackwitz geht achtsam, sehr grade aufgerichtet, den Bürgersteig entlang, besorgt, niemanden zu streifen. Er sieht gradeaus vor sich hin, auf einen imaginären Fleck, der in Augenhöhe fern von ihm die Straße hinunter liegt, um niemanden und nichts sehen zu müssen. Er möchte auch gerne mit seinen Ohren weghorchen können, etwa in das schwere Rauschen seiner immer noch kaum angemähten, erntereifen Neuloher Kornfelder hinein, er bemüht sich, wegzuhorchen von dem, was ihm Hohn und Neid und Gier nachrufen.
    Plötzlich ist es ihm wie in den unseligen Novembertagen des Jahres 1918, als er mit zwanzig Kameraden – dem Rest seiner Schwadron – auch eine Berliner Straße langmarschierte, in der Reichstagsnähe – und plötzlich prasselte aus Fenstern, von Dächern, aus dunklen Torgängen eine wüste Schießerei auf den kleinen Zug herab, ein regelloses, wildes, feiges Geknalle. Auch damals waren sie so weitermarschiert,das Kinn vorgestoßen, den Mund fest geschlossen, mit den Augen einen imaginären Punkt am Ende der Straße fixierend, den sie wohl nie erreichen würden.
    Und dem Rittmeister ist, als sei er in den fünf Wahnsinnsjahren seitdem eigentlich immer so weitermarschiert, einen imaginären Punkt fixierend, wachend wie schlafend – denn es gab in diesen Jahren keinen Schlaf ohne Traum. Immer eine trostlose Straße voller Feinde, Haß, Gemeinheit, Würdelosigkeit hinunter, und kam, wider alles Erwarten, doch die Ecke, so tat sich nur eine neue, ganz gleiche Straße auf, mit demselben Haß und derselben Gemeinheit. Aber wieder war der Punkt da, auf den man losmarschieren mußte, dieser Punkt, den es gar nicht gab, eine bloße Einbildung –.
    Oder war der Punkt etwas, das gar nicht draußen, außerhalb von ihm lag, sondern in ihm, in seiner eigenen Brust – sage ich es denn: in meinem Herzen? Marschierte er, weil ein Mann marschieren muß, ohne auf Haß und Gemeinheit zu horchen, sehen auch aus tausend Fenstern zehntausend böse Augen auf ihn, sei er auch ganz allein – denn wo sind die Kameraden?! Marschierte er, weil man nur so sich näher kommt, das wird, was man auf dieser Erde zu sein hat, nämlich nicht das, was die andern von einem erwarten, sondern man selbst –? Man selbst!
    Und plötzlich ist dem Rittmeister von Prackwitz, hier auf der Langen Straße am Schlesischen Bahnhof in Berlin, einer verfluchten Stadt, ist dem Rittmeister und Rittergutspächter, angesichts von zehn schreienden
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