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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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Strauß?
    War ihre Leidenschaft in dieser Hinsicht der einerseits hilflose, andererseits notwendige Versuch, nach der deutschen Katastrophe etwas durch und durch Gutes aufzubauen? Und war mein Vater nicht genau das, was in unserem Staat heute oft zu fehlen scheint: ein mündiger, interessierter, informierter Bürger?
    Oder war die Politik nur das Ausweichfeld, auf dem sich diese Männer überhaupt Gefühle gestatten konnten, eine Welt wirklich großer Emotionen, wie es sie (für die meisten Männer damals) ansonsten nur noch auf dem Fußballplatz gab? Wie oft habe ich erlebt, dass meine Mutter abends, wenn es schon dunkel war, weinend aus dem Haus lief, nachdem sie gerufen hatte, sie ertrage dieses Schweigen des Mannes, den sie liebte, nicht mehr,diese Berührungslosigkeit? Wie oft habe ich oben auf dem Treppenabsatz gesessen und auf ihre Rückkehr gewartet?
    Ich hielt weiter zu den Fabrikbesitzern, bis ich während der Sommerferien einmal nach Deutschland fuhr, um meine Großmutter zu besuchen, auch meinen Onkel Stefan, der damals Mitte zwanzig war, Student an der Werkkunstschule in Hannover und ein sehr feinsinniger, in seiner Sensibilität auch gefährdeter Mann. Das muss Ende der 60er-Jahre gewesen sein, jedenfalls gab mein Onkel in Großmutters Wohnung eine Party, von der ich allerdings nur die Vorbereitungen mitbekam. Als es richtig losging, wurde ich ins Bett geschickt.
    Durch die Schiebetür des Gästezimmers hörte ich Onkel Stefan und seine Künstlerfreunde feiern.
    Welch eine Verheißung das war! Die Musik, die rote Glühbirne, die jemand eingeschraubt hatte, der Rauch, die Gespräche, die sich auch um Politik drehten – all das ließ in mir die schöne Illusion wachsen, dass alles, was im Leben aufregend ist, irgendwie links ist. Denn natürlich hielt ich Onkel Stefan für einen Linken, der damals hauptsächlich damit beschäftigt war, politische Happenings mit seinen Kommilitonen zu veranstalten.
    Aber er war nicht links, nicht im Geringsten.
    Er habe, erzählte er mir sehr viel später, ein so schlechtes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, einem recht bekannten Sozialdemokraten, dass er von Politiknichts, aber auch wirklich nichts wissen wollte. Nur waren damals eben »links« und emotionale Rebellion kaum auseinanderzuhalten.
    Onkel Stefan für sein Teil war jedenfalls ganz und gar unpolitisch.
    Was mir von jenem Abend blieb, war die Ahnung, dass es noch eine andere Welt gab als die meiner Eltern und Großeltern, eine Welt, die viel aufregender und eben auch jünger war. Ich wünschte mir einen Freund wie Onkel Stefan. Und vielleicht spürte ich damals auch die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Ich hatte unter Gleichaltrigen wenig Vertraute, was vor allem daran lag, dass meine Eltern die komische Angewohnheit hatten, alle paar Jahre das Land, die Stadt oder das Wohnviertel zu wechseln. Jahre später hätte ich das, was ich empfand, als ich hinter der Schiebetür stand und die Party meines Onkels belauschte, womöglich als eine geheimnisvolle Macht aus Rebellion, Liebe und Ausbruch beschreiben können. Aber so weit war ich noch lange nicht. Das Disco-Licht, das durch den Türspalt strömte, kam mir nur vor wie das Morgenrot.
    Später, am Gymnasium, sahen wir uns nicht selten teils lächerlichen, teils dummen, teils unbelehrbaren Figuren gegenüber, einer Spezies von Paukern, die (vielleicht schon zermürbt von etlichen aufmüpfigen Schülerjahrgängen) in jedem Schüler mit längerem Haar, der im Unterricht provokanteFragen stellte, einen kleinen Staatsfeind sahen – obwohl mangelhafte Haarpflege und Sticheleien doch meistens nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit oder einfach Spaß an der Freude waren.
    Jener Griechischlehrer, der in der Klasse »Lange Haare, kurzer Verstand« verkündete.
    Der Oberstudienrat, der tönte: »Einen Panzer lassen sie mich nicht mehr fahren, aber eine Panzerfaust könnte ich immer noch halten.« Sein Sohn, der sanftmütig war und halblange Haare trug, war dann später mein Mathe-Nachhilfelehrer.
    Der Oberstudiendirektor, der verlangte, dass man aufstand, wenn er den Klassenraum betrat, und der meiner Mutter einmal eröffnete, ich hätte alle Anlagen für eine kriminelle Karriere. Als Beweis dienten ihm einige Einträge ins Klassenbuch, die ich wegen kleinerer disziplinarischer Vergehen bekommen hatte.
    Bei uns gab es den Direktor, der im Krieg ein Auge verloren hatte, den Spitznamen »Geier« trug und eine Eiseskälte verströmte, dass ich schauderte, wenn ich
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