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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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einer Sitzung zurückkehrte, laut und wütend »dieser Schubmann!« rufen und meiner Großmutter Vorträge halten, welchen Unsinn »dieser Schubmann!« wieder einmal geredet habe.
    Eines Tages fiel mein Großvater auf dem Heimweg vom Gemeinderat vor dem Haus tot um. Nicht auszuschließen, dass seine letzten Worte mit Schubmann zu tun hatten.
    Vielleicht identifizierte ich mich damals mehr mit meinem italienischen Großvater als mit meinem Vater. Der Großvater war Wollfabrikant und ein Patriarch wie aus dem vorvorletzten Jahrhundert: Brillantine im rabenschwarzen Haar, schwarzer Nadelstreifenanzug, schwarz-weißeSchuhe, aufbrausend, aber mit einem Herz so groß wie der Eingang zum Grand Hôtel von Rimini, das in der Nähe seiner kleinen Fabrik lag.
    Schon zu Lebzeiten umrankten ihn Mythen, wie die Geschichte vom sagenhaft azurblauen Bugatti, den Großvater bis zum Ausbruch des Krieges fuhr. Es war ein besonders seltenes Modell, von dem es in Italien nur sechs bis zehn Stück gegeben haben soll. Als die von Verbündeten zu Kriegsgegnern gewordenen Deutschen in Richtung Rimini vorrückten, ließ mein Großvater das gute Stück im Haus eines Bauern einmauern. Doch die Deutschen entdeckten das Auto, vielleicht hatte auch jemand gepetzt. Mein Großvater jedenfalls sah den Bugatti nie wieder.
    Für ihn gab es nichts Schöneres, als seine Familie und Freunde zum Essen einzuladen. Er ließ es sich selten nehmen, persönlich den Einkauf zu erledigen, und kaufte riesige Mengen an Obst, Fleisch oder Fisch. Die reichten damals, als noch kein Mensch irgendeine Diät kannte, gerade für ein größeres Abendessen. Wenn alles verspeist war, ging mein dicker Opa manchmal noch fröhlich in die Küche und kochte für alle Spaghetti aglio, olio e peperoncino .
    Der Großvater hatte eine Sekretärin namens Natalia, die ihm eines Tages aufgewühlt von ihrem Freund erzählte. Ich belauschte das Gespräch vom Verkaufsraum seines Wollgeschäftes aus: Der Freund studierte in Rom und hatte offenbar Ärger bekommen mit dem Rektorat, der Polizei oder der Justiz – oder mit allen dreien. Jedenfalls brachte mein Opa sein Unverständnis gegenüber diesem Protestler zum Ausdruck, während Natalia versuchte, sein Verständnis zu wecken.
    Der Protestler war »links«, womöglich Kommunist, mein Opa war Fabrikbesitzer und fühlte sich von ihm bedroht, die Gegner der Amerikaner in Vietnam waren ebenfalls Kommunisten. So verliefen die Fronten, so sah die Welt für mich als Kind aus.
    Und für einen Moment geriet diese Welt für mich aus den Fugen. Selbst mein Großvater schien schon in Gefahr zu sein! Ich ging zu meiner Mutter und sagte traurig (die Lage in Vietnam hatte sich nun auch in meiner Wahrnehmung verändert): »Überall gewinnen die Linken.« Doch meine Mutter lachte nur und sagte: »Jeder intelligente Mensch ist doch heute links!«
    Vielleicht wirkte Großvaters Gespräch mit seiner Sekretärin auf mich auch deshalb so bedrohlich, weil ich damals schon eine andere Großvatergeschichte kannte, die mein Vater gut zwanzig Jahre vorher erlebt hatte, auch er als Kind.
    Es war das Jahr 1948. Das vom Faschismus befreite Italien wählte sein erstes Parlament, und es schien möglich, dass die Volksfront siegen könnte. Mein Vater war damals seinerseits Zeuge eines Gesprächs, nämlich zwischen einer Verkäuferin und einem Fabrikarbeiter meines Großvaters. Er wurde vor Angst ganz starr, denn der Arbeiter sagte: »Wenn wir morgen die Wahlen gewinnen, dann rechnen wir hier mit dem padrone ab.«
    Aber es triumphierten die Christdemokraten. Als ihnen nach einer halben Ewigkeit schließlich die Macht entwunden wurde, war Großvater längst gestorben.
    Doch ich werde nie den Satz vergessen, den er am Ende jenes Gespräches zu seiner Sekretärin Natalia sagte und der meine zersprungene Welt wieder ein wenig kittete, weil ich eine Ahnung davon bekam, dass es etwas gab, das über der Politik stand und wichtiger war als sie. Der Großvater sagte:»Hören Sie, wenn Sie etwas brauchen«, und es war klar, dass in dieses Angebot auch ihr linker, so bedrohlicher Freund in Rom eingeschlossen war, »dann lassen Sie es mich wissen.«
    Wenn ich an meinen Vater denke, sehe ich oft sein rechtes Auge vor mir. Es war ein Auge aus Glas. Er hatte sein richtiges Auge im Krieg verloren, seltsamerweise rettete ihm das sein Leben, denn er kam nach dieser Verletzung zu spät aus dem Lazarett, um in den Kessel von Stalingrad noch hineinzugelangen; so starb er dort nicht.
    Das
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