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Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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ihr, aber wozu auch?
    Vor dem großen Spiegel im Flur überprüfte sie den Sitz des Hosenanzugs. Das matte Weiß brachte ihr dunkles Haar gut zur Geltung. Mit Sorgfalt zog sie ihre Lippen nach. Es war eine Weile her, daß sie sich gut angezogen und geschminkt hatte.
    Mario hatte inzwischen seine Jeans und ein grellorangefarbenes T-Shirt mit einem aggressiven Graffitti-Aufdruck angezogen. Er hielt sie mit einer pathetischen Geste an den Schultern fest und sah ihr in die Augen. Hoffentlich schmierte er kein Blut von seiner Lippe an ihre Kleidung.
    »Klara. Ich liebe dich!«
    Auch das noch. Klara fühlte sich an eine Filmszene erinnert. Die Reifeprüfung ? Die Situation kam ihr irgendwie bekannt vor. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Mario nackt geblieben wäre. Einem Nackten konnte man nicht weh tun, oder jedenfalls nicht so leicht.
    »Mach bitte meine Jacke nicht schmutzig.«
    »Ich soll deine Jacke nicht schmutzig machen?« rezitierte er schockiert. »Klara, du bist die erste Frau, der ich so etwas sage. Ich meine, bei der ich es ernst meine …«
    »Du bist ja auch erst zweiundzwanzig«, gab Klara zu bedenken. Er stand ihr noch immer gegenüber, mit den Pumps überragte sie ihn knapp. Ihr Magen knurrte. Nicht mal etwas Anständiges zum Frühstück hatte er besorgt, und so einer faselte von Liebe.
    »Es ist vorbei«, sagte Klara, »ich will das nicht mehr.«
    »Du machst Schluß mit mir? Einfach so? Dumit mir?«
    Herrje! Verletzter Mannesstolz, wie ungeschickt von ihr. Diplomatie war noch nie Klaras Stärke gewesen. Einen Moment lang war sie überrascht und fasziniert von der Dynamik, mit der Marios Stimmungsumschwung vor sich ging. Sein weicher Mund dehnte sich zu einem zynischen Halblächeln, in seinem Blick lag nun etwas Verschlagenes. Eine Aura der Gemeinheit ging plötzlich von ihm aus. Das war also das andere Gesicht ihres Romantikers. Sie nahm ihre Aktentasche und klapperte hastig und mit viel Radau die abgewetzte Treppe des Mietshauses hinunter. Sie war hohe Schuhe nicht gewohnt.
    Im dritten Stockwerk stand die mittlere der drei Türen offen, und eine junge Frau in sehr legerer Kleidung trat ihr entgegen. »So, jetzt reichts mir!«
    Klara blieb stehen. Ein Kinderwagen blockierte den Weg zur nächsten Treppe. »Kann ich mal durch?« fragte sie, im Glauben, die Mutter hätte mit dem Klammeraffen gesprochen, der an ihrer Hand zerrte.
    »Meine Tochter kann nicht schlafen.«
    War sie irre? Das strähnige Haar und der verzerrte Mund in ihrem aufgedunsenen Gesicht verstärkten den Eindruck. Klara hatte die Frau noch nie gesehen, aber die Stimme kannte sie.
    » Ritalin «, riet Klara.
    Die Frau hob den Zeigefinger der freien Hand zur Decke.
    »Könnten Sie in Zukunft da oben etwas leiser vögeln? Man hört Sie durch’s ganze Haus, und das am hellichten Tag.«
    Offenbar zog sie die Authentizität gewisser Laute, die häufig lediglich der Beschleunigung der Vorgänge gedient hatten, keineswegs in Zweifel.
    »Es tut mir leid«, sagte Klara ehrlich. »Es kommt bestimmt nicht wieder vor. Würden Sie mich jetzt vorbeilassen, ich habe es eilig.«
    Aber die Frau schien lange auf diesen Moment gewartet zu haben, jetzt wollte sie ihn auskosten. »Meine Tochter ist schon ein paarmal vom Mittagsschlaf aufgewacht und wollte wissen, was da oben los ist.«
    Klara betrachtete das Kind, das an der Hand der Mutter herumzappelte. Es trug ein verkleckertes Hemd und eine Windel und hatte einen rosaroten Propeller auf dem Kopf. Wie alt mochte es sein? Zwei? Drei? Stellten so kleine Kinder solche Fragen?
    »Und, haben Sie’s ihr erklärt?«
    Obwohl Klara weder gelacht noch gegrinst hatte, keifte die Frau: »Das finde ich nicht witzig! Und die anderen Hausbewohner auch nicht!«
    Demnach hatte also schon ein Meinungsaustausch zum Thema stattgefunden. Armer Mario.
     Jetzt linste ein älteres Mädchen aus der Tür – fünf? sechs? – strähnigblond und ebenso teiggesichtig wie die Mutter.
    »Wissen Sie«, sagte Klara, »und ich habe mich beim Vögeln schon oft gefragt, was bei Ihnen hier unten los ist. Brüllen Sie nur, oder schlagen Sie auch zu?«
    Sie nutzte die Verblüffung ihrer Gegnerin und strebte mit solcher Entschlossenheit auf die Treppe zu, daß die Frau den Kinderwagen wegzog, damit er nicht von Klara die Treppe hinuntergestoßen wurde.
    »Schlampe!« zischte sie und knallte die Tür zu.
    Mütter, dachte Klara: eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, aber eine Plage für die Mitmenschen. Sie nahm die Stufen bis ins
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