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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Autoren: Hannah Beitzer
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Soziologe sein, um sich ausrechnen zu können, dass der Großteil der jungen Deutschen 1968 eher mit Arbeiten beschäftigt war als mit Demonstrieren.
    So sagte etwa der bekannte Protestforscher Dieter Rucht einmal im Interview mit der
Zeit
: «Der Protest der 68 er war zwar heftig und spektakulär. Aber in der Summe haben sich damals vermutlich weniger Studenten beteiligt als bei späteren Protesten.» Dennoch dominiert diese zahlenmäßig kleine Gruppe die Geschichtsbücher, Film-Dokus, Leitartikel und alles, was sonst noch Relevantes zur Bonner Republik erscheint – was wiederum dafür spricht, dass der Generationenbegriff Sinn ergibt, selbst wenn er niemals die gesamte Bandbreite an unterschiedlichen Menschen einer Altersklasse erwischt.
    Das ist genau der Knackpunkt: Politisch geprägt haben die 68 er fast die gesamte zweite Hälfte des 20 . Jahrhunderts, ganz egal, wie niedrig ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung zahlenmäßig war. Bis heute ergibt sich das Spannungsfeld der politischen Lager – das eher wirtschaftsfreundliche Schwarz-Gelb auf der einen Seite, das eher auf den Prinzipien Gerechtigkeit und staatliche Fürsorge basierende Rot-Grün auf der anderen – aus dem Konflikt zwischen der 68 er-Bewegung und ihren Gegnern. Auch wenn sich das heute nicht mehr so leicht in ein einfaches Rechts-links-Schema pressen lässt – die alte Konfliktlinie ist noch da, sie wurde jahrzehntelang von der Generation der 68 er und ihren Nachzüglern aufrechterhalten. Und so sind sie auch für die junge Generation immer noch der entscheidende Bezugspunkt, wenn es um den politischen Diskurs geht. Nicht zwangsweise, weil sie unsere Eltern sind, sondern weil sie unser gesamtes Leben politisch geprägt haben – sei es nun weil sie, wie bei mir, ihre Kinder aktiv in die Politik eingebunden haben oder einfach nur, weil sie auch allen anderen zeigten, dass Demonstrationen und politisches Engagement ein legitimes Mittel im politischen Diskurs sind.
    Aber nicht nur in Bezug auf die 68 er, auch übertragen auf meine Altersklasse stellt sich zunächst die Frage, inwieweit der Generationenbegriff überhaupt Sinn ergibt. Habe ich, das akademisch gebildete Kleinstadt-Mädchen, nicht mehr mit meinen Eltern gemeinsam als – um mal voll in die Klischee-Kiste zu greifen – mit einem gleichaltrigen Neuköllner ohne Schulabschluss und Berufsausbildung? Was verbindet die 30 -jährige Alleinerziehende mit Teilzeitjob mit dem 30 -jährigen Unternehmensberater? Sind wir nicht alle total unterschiedlich?
    Ich denke, auch losgelöst von den 68 ern als Bezugspunkt haben wir Jungen einiges gemeinsam, sind eben doch eine Generation: Zwar kommen wir alle aus unterschiedlichen Orten, Familien, haben unterschiedliche Lebensläufe. Aber dennoch sind wir von ähnlichen (welt-)politischen Ereignissen geprägt: Wir wuchsen auf, als Helmut Kohl noch Kanzler war, erlebten in unserer Kindheit die Wiedervereinigung, den 11 . September, dann die Wirtschaftskrise. Und so mussten und müssen wir, die wir so unterschiedlich sind, eben auf ein und dieselben Ereignisse reagieren. Wir alle leben in einer Welt, die mehr und mehr zusammenwächst. Wir sind die Kinder der Globalisierung, so abgedroschen das auch klingen mag. Inzwischen kann ich mir auch ganz gut vorstellen, was ich meinen Kindern mal über meine Generation erzählen werde: Dass wir uns in einer vernetzten Welt bewegten, während unsere Eltern noch in Landesgrenzen dachten. Und dass wir alle Umwälzungen, die damit verbunden waren – globalisierter Arbeitsmarkt, Flexibilität, Fremdsprachenkenntnisse –, voll abbekamen, während unsere Eltern noch von der Bonner Republik träumten.
    Klar, auch das betrifft nicht alle von uns im selben Ausmaß. Während wir jungen Akademiker uns noch relativ ordentlich auf diese veränderten Bedingungen einstellen, gibt es auch viele Junge in Deutschland, die nicht mit Spanischlernen und Wegziehen auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes reagieren können. Diese Leute kommen bei all dem Gerede über Generationen relativ selten zu Wort, und in der Politik kommen sie gleich gar nicht vor. Den Gebildeten gelingt es hingegen ziemlich gut, auf sich und ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
    Dahinter steckt ein bekanntes Phänomen: Fakt ist, dass das politische Engagement nicht gleichmäßig über alle gesellschaftlichen Schichten verteilt ist. Aktiv und somit letzten Endes auch prägend ist bis heute eine bestimmte Bevölkerungsgruppe – diejenigen, die Zeit haben, sich zu
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