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Wir vom Brunnenplatz

Wir vom Brunnenplatz

Titel: Wir vom Brunnenplatz
Autoren: Christine Fehér
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färbte er sich gerade orange. Kerim trat ans Fenster und schaute nach unten.
    »Mit Blick auf den Springbrunnen«, sagte er und nickte zufrieden. »Genau richtig, so muss es sein. Sieh mal hinunter, Olli! Da unten treffen sich immer alle Kinder.«
    Ich trat neben ihn und folgte seinem Blick, und da sah ich ihn endlich - den Brunnenplatz. Fünf Delfine aus Stein lagen, die Köpfe aufwärtsgerichtet, in einem großen, runden Becken und spuckten hohe Wasserfontänen in die Luft. Ringsherum hielten Mädchen ihre Füße ins Wasser und spritzten Jungs nass, die versuchten, Schiffe fahren zu lassen. Ein etwas größeres Mädchen saß am Beckenrand und bürstete ihre langen, braunen Haare. Um den Platz herum standen lauter andere Hochhäuser; manche davon hatten einen Laden unten drin oder ein Restaurant. Plötzlich kam eine ältere Frau mit ihrem kleinen Hund am Springbrunnen vorbei und schimpfte, und sofort rannten alle Kinder weg. Aber als sie in einem Hauseingang verschwand, waren sie gleich wieder da.
    »Das war die Meckerliese«, lachte Kerim. »Die lernst du bestimmt bald kennen. Sie hat immer schlechte Laune und würde am liebsten alles verbieten, was Spaß macht.«
    »Und wer ist das Mädchen, das sich die ganze Zeit kämmt?«, wollte ich wissen.
    »Sie heißt Violetta«, antwortete Kerim. »Sie kommt aus Polen und ist die Schönste vom ganzen Brunnenplatz. Violetta ist schon elf.«
    Ich pfiff leise durch die Zähne. Dann tat ich so, als interessiere mich Violetta nicht weiter. »Und wie heißen die Jungs?«
    »Erklär ich dir später, wenn wir sie unten treffen«, versprach mein neuer Freund.
    »Also gehen wir gleich?«, fragte ich und wollte schon zurück ins Treppenhaus stürmen, aber Kerim hielt mich zurück.
    »Morgen«, vertröstete er mich. »Jetzt müssen wir erst mal essen. Meine Mutter ist gerade gekommen.«
    Ich hatte gedacht, Kerims Mutter hätte vielleicht ein paar belegte Brote gemacht oder eine Suppe gekocht. Das hatte meine Mama getan, als ihre Freundinnen und Papas Freunde zu uns gekommen waren, um beim Einpacken zu helfen. Kerims Mama aber schleppte so viel an, als wolle sie eine ganze Schulklasse versorgen. Auf unserem Tisch, den die Männer inzwischen schon im Wohnzimmer aufgebaut hatten, standen Schüsseln und Platten mit gefüllten Weinblättern, Blätterteigpasteten, gegrilltem Gemüse, buntem Salat, Fladenbrot, eingelegten Oliven, gebratenen Fleischstücken am Spieß, Joghurt mit Gurke, Pudding und Kuchen.
    »Ich wollte noch mehr machen«, sagte sie langsam und vorsichtig, sie sprach nicht ganz so gut Deutsch wie Kerim. »Aber kleine Baby Gül hat immer Milch getrunken. Deshalb ein bisschen wenig geworden.«
    »Wenig? Das ist doch viel zu viel!«, rief Mama, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und hörte gar nicht mehr auf, sich zu bedanken. Papa besorgte unten im Getränkemarkt schnell einen Kasten Bier für die Erwachsenen und Saft für uns Kinder. Und dann haben wir alle zusammengesessen - die Erwachsenen auf Stühlen und Umzugskisten, wir Kinder lümmelten uns auf dem Sofa.
    »Auf gute Nachbarschaft«, sagten die Erwachsenen und haben mit Bier angestoßen. Wir waren bestimmt fünfzehn Leute mit Kerims Familie und unseren Umzugshelfern. Emma saß neben Kerims Schwester Rima auf dem Sofa, die beiden flüsterten und kicherten die ganze Zeit miteinander. Emma aß nur Fladenbrot und einen von den Fleischspießen, aber ich habe fast alles einmal probiert, zumindest das, was auch Kerim mit großem Appetit verspeiste. Die Pasteten haben ein bisschen wie Pizza geschmeckt, aber das Allerbeste war der Pudding zum Nachtisch.
    Nach dem Essen sind Kerim, Rima und ihre Eltern nach oben gegangen. Die Brüder haben mit Papa und seinen Freunden noch einen Schrank aufgebaut, dann waren sie fertig. Als alle weg waren, musste ich auf einmal gähnen, obwohl ich noch gar nicht müde war.
    »Es war ein langer Tag für uns alle«, sagte Mama und holte unsere Zahnbürsten aus einer Reisetasche. »Also ab ins Bett mit euch. Morgen könnt ihr eure neuen Freunde Wiedersehen.«
    »Kerim klingelt um zehn«, verkündete ich. Dann nahm ich Emma mit in mein Zimmer und zeigte ihr die Aussicht zum Brunnenplatz hinunter. Ihr Zimmer liegt auf der anderen Seite, von ihrem Fenster aus kann man die Straße sehen. Inzwischen waren die Kinder, die am Nachmittag noch am Delfinbrunnen gespielt hatten, alle nach Hause gegangen und die Wasserfontänen abgestellt.
    »Aber morgen sind sie bestimmt wieder da«, versprach ich
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