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Wir vom Brunnenplatz

Wir vom Brunnenplatz

Titel: Wir vom Brunnenplatz
Autoren: Christine Fehér
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so alt sein musste wie ich. Eigentlich hatte ich Lust, ihn zu verprügeln, aber er hörte gar nicht mehr auf, so frech zu grinsen, und zwinkerte mir sogar zu. So richtig sauer auf ihn sein konnte ich da nicht.
    »Ich bin Kerim«, sagte er und hob seine Hand. Kerim trug ein weißes T-Shirt mit Silberaufdruck, eine weite Jeans und schwarze Turnschuhe. Ich selber hatte ganz alte Sachen an, eine kurze Hose und ein T-Shirt, das mir sogar ein bisschen zu klein war. Mama hatte gesagt, beim Umzug wird sowieso alles schmutzig und nach der nächsten Wäsche tut sie die Sachen in die Altkleidersammlung.
    »Und ich bin Olli«, antwortete ich und schlug ein wie bei einem alten Kumpel. Und Kumpels sind wir auch geworden. Genau von diesem Moment an.
    Papa blickte zwischen Kerim und mir hin und her. Ich riss meine Augen ganz weit auf und schüttelte ganz leicht den Kopf, das sollte bedeuten, dass er Kerim nicht anmeckern sollte. Zum Glück kann man sich in solchen Dingen auf Papa verlassen. Er gab Kerim die Hand und fragte ihn, ob er auch hier im Haus wohne. Kerim nickte.
    »Ganz oben«, sagte er. »Im zwölften Stock. Soll ich meine großen Brüder fragen, ob sie beim Tragen helfen? Mein Bruder Hassan hat eine eigene Umzugsfirma, der macht das mit dem kleinen Finger. Meistens Umzüge in die Türkei oder von da hierher. Dagegen ist das hier Vanillepudding.«
    »Super Angebot.« Papa strahlte ihn an. »Wir können jede helfende Hand gebrauchen.«
    »Komm mit, Olli«, winkte Kerim und war schon halb die Treppe hoch, ehe ich mich überhaupt in Bewegung gesetzt hatte. Ich überlegte, ob er seine zwölf Stockwerke jeden Tag hinauf- und hinunterrannte, denn als wir ganz oben ankamen, war Kerim kaum außer Puste. Ich dagegen japste nach Luft.
    Er legte seinen Finger auf den Klingelknopf, neben dem ein langer und für mich unaussprechbarer Name stand. Doch ehe er draufdrücken konnte, zog ich seinen Arm zurück.
    »Warum hast du das gemacht?«, fragte ich ihn. »Uns in jeder Etage angehalten?«
    Kerim grinste wieder.
    »Das mache ich immer, wenn jemand mit Kindern einzieht«, antwortete er. »Damit die gleich wissen, dass ich der Boss bin.«
    »Du und der Boss«, gab ich zurück. »Das werden wir noch sehen! Wohnen hier viele Kinder?«
    Kerim schnalzte mit der Zunge. »Jede Menge«, sagte er. Meine Bemerkung über den Boss schien er nicht gehört zu haben, oder sie war ihm egal. »In allen Häusern am Brunnenplatz. Wir aus der Nummer zehn sind eine richtige Bande, Mädchen und Jungs, total cool. Hier wird es nie langweilig, das verspreche ich dir.«
    Er klingelte und eine Frau mit einem langen blauen Kleid öffnete die Tür. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden und in der Hand hielt sie einen Kochlöffel. Sie sagte zu Kerim etwas auf Türkisch und deutete auf mich, drehte ihren Kopf und rief etwas nach hinten in die Wohnung.
    »Meine Brüder kommen gleich«, verkündete Kerim. »Und meine Mutter bringt euch nachher was zu essen, sie kocht sowieso gerade. Sie sagt, nach dem Umzug habt ihr bestimmt Hunger.«
    Hunger hatte ich wirklich, und aus der Wohnung von Kerims Familie duftete es herrlich nach gebratenem Fleisch und Gewürzen. Aber erst mal staunte ich, als aus der Tür seine Brüder kamen, immer noch einer und noch einer. Schließlich waren fünf junge Männer versammelt und stapften die Treppe hinunter, um Papa zu helfen.
    »Wie viele Geschwister hast du denn noch?«, flüsterte ich.
    »Das waren meine Brüder Hassan, Birol, Mesut, Alper und Attila«, zählte Kerim auf. »Dann gibt es noch meine Schwester Rima und meine ganz kleine Schwester Gül, die ist aber noch ein Baby.«
    »Und die passen alle in eure Wohnung?«, fragte ich.
    Kerim lachte. »Nicht mehr lange. Hassan heiratet nächsten Monat, dann zieht er weg. Seine Frau und er wollen auch bald Kinder haben. Birol ist nächstes Jahr dran. Aber jetzt komm, du musst mir unbedingt dein Zimmer zeigen!«

    Kerims Brüder hatten gezaubert. Binnen kürzester Zeit war der Fahrstuhl schon leer und alle Möbel standen an der richtigen Stelle. Noch viermal fuhren sie nach unten und holten die anderen Sachen aus dem Lkw. Kerim und ich steckten den Kopf in alle Zimmer, und als ich in einem davon mein Bett stehen sah, stieß ich einen Freudenschrei aus. Hier gefiel es mir. Das Zimmer war nicht groß, aber es lag ein gemütlicher blauer Teppichboden darin und ein großes Fenster hatte es auch, durch das ich den Himmel sehen konnte. Jetzt an diesem sonnigen Abend
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