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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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ausgesprochen.
    Ich weiß noch, wie Ma in Tränen ausbrach und Paps jubelte und schrie, er der verrückte Professor, ich das Wunder seiner Schöpfung:
    »Er lebt!«
    »Er lebt!«
    »Er lebt!«

Wir selbst
    A ls wir Brüder waren, als wir drei zusammen waren, machten wir eine Frau. Wir stellten uns übereinander, auf die Schultern, einer auf die des anderen, und wickelten uns in Mas Wintermantel. Manny war unten die Beine, Joel war der Bauch, und ich war der Leichteste, also war ich der Frauenkopf. Wir benutzten eine Leiter, um nicht umzufallen, aber Mannys Knie gaben unter unserem Gewicht nach, deshalb mussten wir uns auf den Boden legen und es so probieren; wir waren eine gefallene Frau, die nicht aufstehen konnte, eine hilflose Frau, rücklings.
    Als wir Brüder waren, waren wir die Musketiere.
    »Einer für alle! Und alle auf einen!«, schrien wir und fochten mit unseren Gabeln.
    Wir waren Monster – Frankenstein, Frankensteins Braut, Frankensteins Baby. Wir bastelten Zwillen aus Buttermessern und Gummibändern, kauerten unter Autos und schossen mit Kieselsteinen auf weiße Frauen – wir waren die drei Bären, die sich an Goldlöckchen wegen des fehlenden Breichens rächten.
    Die Gotteszahl ist Drei.
    Wir waren die Gotteszahl.
    Manny war der Vater, Joel der Sohn und ich der Heilige Geist. Der Vater band den Sohn an den Basketballpfosten und peitschte ihn mit Ruten, während der Sohn sprach: »Warum, Paps, warum?«
    Und der Heilige Geist? Der Heilige Geist schwebte und musste zusehen – da und nicht da –, bis ein neues Spiel begann.
    Wenn wir zu dritt waren, dann sprachen wir gemeinsam, eine Stimme für alle, in unserer Höhlensprache.
    »Wir Hunger«, sagten wir zu Ma, als sie schließlich zur Tür hereinkam.
    »Wir Einbrecher«, sagten wir zu Paps, als er uns auf dem Dach erwischte, wo wir uns gerade abseilen wollten – und später, als Paps uns wieder am Boden hatte und Manny eine Tracht Prügel verabreichte, flüsterte ich zu Joel: »Wir Angst«, und Joel reckte sein Kinn zu Paps hinüber, der seinen Gürtel auszog, und flüsterte zurück: »Wir am Arsch.«
    Wenn wir zu dritt waren, bohrten wir uns gegenseitig die Finger in die Augen und zogen uns die Stühle unterm Hintern weg. Die Stooges waren drei, die Chipmunks auch. Wir kniffen uns die Nasen zu und sangen als Chipmunks Weihnachtslieder. Wir perfektionierten die menschliche Pyramide – nicht die langweilige Pyramide im Knien, sondern im Stand. Wir wechselten uns in der Rolle des Weltmeisters ab, einer paradierte auf den Schultern der anderen beiden, warf Handküsschen und schüttelte die Fäuste.
    Wir waren die drei Schweinchen in ihrem Haus; wir waren der Wolf, der pustete. Aber nachdem wir aufgeklärt worden waren – nachdem Ma sich mit uns auf den Teppich gesetzt und die Enzyklopädie bei den »Fortpflanzungsorganen« aufgeschlagen hatte, nachdem sie uns die Querschnitte von Penis und Vagina gezeigt und uns erklärt hatte, wie sie zusammenpassen, trotz alldem –, spielten wir ein neues Spiel. Niemand hatte Ma die Sache mit dem Sex erklärt, als sie klein war – nicht die Nonnen in der Schule und auch nicht ihre eigene Mutter. Und als sie Paps fragte: »Kann ich davon denn nicht schwanger werden?«, hatte Paps gelogen. Er hatte gelacht und zurückgefragt: »Davon?« Und dann war da Manny tief drin in Mas Bauch, er war gewachsen, und sein Herz hatte getickt wie eine Bombe (Mas Worte: »Das Herz tickte wie eine Bombe«), dabei war sie erst vierzehn und Paps sechzehn, beide in der neunten Klasse, und beide brachen sie die Schule ab. Ma musste Paps dazu überreden, das Richtige zu tun, sie mit dem Bus nach Texas zu bringen und zu heiraten. Da war sie im achten Monat, erzählte sie uns, und Paps war dunkelhäutig mit Afromatte. Die beiden sahen mit ihren verwirrten Babygesichtern sowas von nach Brooklyn aus; das Höflichste, was den Leuten einfiel, war, sie anzustarren, und die Welt ist voller Menschen, die nicht höflich sind – aber es musste Texas sein, erklärte Ma, weil Ma doch zu jung war, um in New York zu heiraten. Dann waren sie also verheiratet, und dann kam Joel, und dann kam ich. Alle drei in Mas Teenagerzeit (»meine Teenagerzeit«, wiederholte Ma, als ob uns das was sagen müsste) – nach alldem waren wir nicht mehr die drei Schweinchen in der Hütte, aber auch nicht mehr der Wolf, der die Hütte umpustet.
    Danach spielten wir ein neues Spiel, in dem der Wolf die Schweinchen zum Sex überlistet, und wir waren die Kinder – halb
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