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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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Mann in Bademantel, der sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank schnappt und es mit zurückgelegtem Kopf trinken will, während er immer absolut im Takt tanzt, steppt und schnippt.

Sieben
    A m Morgen standen wir Seite an Seite in der Tür und sahen zu Ma hinein, die mit offenem Mund schlief, und wir hörten, wie die Luft sich mühte, an dem Speichel in ihrem Hals vorbeizuziehen. Vor drei Tagen war sie mit zwei rot geschwollenen Wangen nach Hause gekommen. Paps hatte sie ins Haus getragen und zu Bett gebracht, wo er ihr über die Haare strich und ins Ohr flüsterte. Er erzählte uns, der Zahnarzt habe sie verprügelt, nachdem sie narkotisiert worden war; so würde man die Zähne lockern, bevor sie rausgerissen werden, erklärte er. Seitdem war Ma die ganze Zeit im Bett geblieben – Plastikröhrchen mit Schmerzmitteln, Gläser mit Wasser, halb leere Becher mit Tee und blutige Taschentücher bedeckten den Boden rings um ihr Bett. Paps hatte uns verboten, das Schlafzimmer zu betreten, und drei Vormittage hatten wir uns daran gehalten und ihren Atem von der Tür aus kontrolliert, doch heute konnten wir nicht länger warten.
    Wir traten auf Zehenspitzen an ihr Bett und fuhren mit den Fingern über ihre Prellungen. Ma murmelte unter unserer Berührung, wurde aber nicht wach.
    Es war der Vormittag meines siebten Geburtstags, also Winter, aber das Licht glühte in den Vorhängen wie Frühling. Manny ging ans Fenster, zog die Vorhänge um sich und bedeckte sich so, dass nur noch sein Kopf zu sehen war. Eines Sonntags, weil wir Ma angebettelt hatten, gingen wir zum Gottesdienst, und dort hatten wir das Bild von Männern mit Kapuzen gesehen, die die Hände falteten und in den Himmel hinaufschauten.
    »Mönche«, hatte Ma erklärt. »Sie studieren Gott.«
    »Mönche«, flüsterte Manny jetzt, und wir verstanden. Joel legte die Decke um sich, die auf dem Boden gelandet war, ich schnappte mir den anderen Vorhang, und wir warteten wie Mönche, dabei beobachteten wir Ma, ihr schwarzes, zerzaustes Haar, ihre geschlossenen Augen, ihre geschwollenen Wangen. Wir beobachteten ihre zarte Gestalt unter dem Laken, ein Zucken, ein Treten, das stete Heben und Senken ihrer Brust.
    Als sie schließlich aufwachte, sagte sie, wir seien schön.
    »Meine wunderschönen kleinen Jungs« waren nach drei Tagen die ersten Worte aus ihrem zerschlagenen Mund, und das war zu viel; wir wandten uns von ihr ab. Ich drückte meine Hand gegen das Glas, ich brauchte die Kälte, so peinlich war mir das plötzlich. So war das manchmal mit Ma; ich musste gegen etwas Kaltes und Hartes drücken, sonst wurde mir schwindlig.
    »Er hat Geburtstag«, sagte Manny.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Ma, doch ihre Worte waren schmerzerfüllt.
    »Er ist sieben«, sagte Manny.
    Ma nickte langsam und schloss die Augen. »Er wird mich verlassen, jetzt, wo er sieben ist.«
    »Was soll das denn heißen?«, wollte Joel wissen.
    »Als ihr Jungs sieben geworden seid, habt ihr mich verlassen. Habt euch vor mir verschlossen. Das tun große Jungs nun mal, Siebenjährige.«
    Ich legte beide Hände auf die Scheibe, bis sie kalt waren, und presste sie mir gegen die Wangen.
    »Ich nicht.«
    »Die beiden haben sich verändert«, fuhr Ma fort und drehte ihren Kopf zu mir um. »Sie haben sich aus meinen Armen gewunden, wenn ich sie knuddeln wollte, wollten nicht mehr still auf meinem Schoß sitzen. Ich musste sie gehen lassen – musste mein Herz dagegen wappnen –, sie wollten Sachen zerschmeißen, miteinander ringen.«
    Meine Brüder schauten verwirrt, aber irgendwie stolz. Manny zwinkerte Joel zu.
    »Ach«, sagte er, »so ist das nicht.«
    »Nein?«, fragte Ma.
    »Ich zerschmeiß nichts«, sagte ich. »Ich will Gott studieren und niemals heiraten.«
    »Gut«, meinte Ma, »dann bleibst du für immer sechs.«
    »Das ist doch nur blöd«, sagte Joel.
    Ma hob langsam eine Hand und beendete das Thema.
    »Stehst du heute auf?«, fragte ich.
    »Wie sehe ich aus?«
    »Blau«, sagte ich.
    »Verrückt«, sagte Joel.
    »Kaputt«, sagte Manny.
    »Aber es ist dein Geburtstag«, sagte Ma zu mir.
    »Aber es ist mein Geburtstag.«
    Sie schob die Laken zur Taille hinunter, legte ihre Hände vorsichtig vors Gesicht, um ihre Wangen zu schützen, so als würde jeden Augenblick eine Faust durch die Luft geflogen kommen, dann richtete sie sich auf, dann berührten ihre Füße den Boden, dann stand sie in ihrem grünen Fußballtrikot da, auf Beinen, so dünn wie nichts, und mit lackierten Zehennägeln.
    Auf
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