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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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zu den Schränken und zogen die größten Töpfe und schwersten Schöpfkellen heraus, schepperten damit, so laut wir konnten, und riefen: »Alles Gute zum Geburtstag! … Frohes neues Jahr! … Es ist null Uhr! … Nimmerzeit! … Die schönste Zeit unseres Lebens!«

Erbe
    A ls wir nach der Schule nach Hause kamen, hatte Paps die Küche in Beschlag genommen, kochte, hörte Musik; es ging ihm gut. Er roch an dem Dampf, der aus dem Topf stieg, dann klatschte er in die Hände und rieb sie schnell aneinander. Er bekam feuchte Augen, die nur so vor irrer Lebensenergie funkelten. Er drehte die Stereoanlage lauter, es war ein Mambo, Tito Puente.
    »Passt mal auf«, sagte er und drehte sich graziös auf einem Hausschuh, und sein Bademantel bauschte sich um ihn. Paps klopfte Stakkatoschritte auf das Linoleum zu uns herüber und zog uns auf die Tanzfläche, packte uns an den dürren Ärmchen und riss uns hinter sich her. Wir rollten mit den winzigen Fäusten vor uns herum und bewegten die Hüften zu den Trompetenstößen. Einen nach dem anderen nahm er bei den Händen und schob uns durch seine Beine hindurch, sodass wir auf der anderen Seite wieder auftauchten. Dann wackelten wir durch die Küche, folgten ihm wie Gänseküken.
    Auf dem Herd standen scharfe Sachen, Schweinekoteletts brieten im eigenen Fett, spanischer Reis schäumte auf und brachte den Deckel zum Klappern. Die Luft war schwer vor Dampf und Gewürzen und Lärm, und das eine kleine Fenster über der Spüle war beschlagen.
    Paps machte die Musik noch lauter, so laut, dass niemand gehört hätte, wenn wir geschrien hätten, so laut, dass Paps ganz weit weg war, kaum zu erreichen, obwohl er direkt vor uns stand. Dann schnappte sich Paps eine Dose Bier aus dem Kühlschrank, und unsere Blicke folgten der Dose an die Lippen. Wir sahen die leeren Dosen, die sich auf der Küchentheke hinter ihm angesammelt hatten, dann sahen wir uns gegenseitig an. Manny rollte mit den Augen und tanzte weiter, also bildeten wir wieder eine Schlange und tanzten, nur dass jetzt Manny Papa-Gans war und wir ihm folgten.
    »Jetzt tanzt so, als wenn ihr reich wärt«, rief Paps mit kräftiger Stimme über die Musik hinweg. Wir tanzten auf Zehenspitzen, reckten die Nasen in die Höhe und piksten mit unseren kleinen Fingern in die Luft über uns.
    »Ihr seid nicht reich«, sagte Paps. »Jetzt tanzt, als wenn ihr arm wärt.«
    Wir gingen tief in die Knie, ballten die Fäuste und streckten die Arme zu den Seiten aus; wir schüttelten unsere Schultern, warfen unsere Köpfe zurück, wild und ungebunden und frei.
    »Ihr seid auch nicht arm. Jetzt tanzt, als wenn ihr weiß wärt.«
    Wir bewegten uns wie Roboter, steif und kantig, lächelten nicht mal. Joel war am überzeugendsten; wir hatten ihn in seinem Zimmer üben sehen.
    »Ihr seid nicht weiß«, rief Paps. »Jetzt tanzt, als wenn ihr Puerto Ricaner wärt.«
    Es gab eine kurze Pause, wir sammelten uns. Dann tanzten wir Mambo, so gut wir konnten, versuchten uns flüssig zu bewegen, es ernst zu nehmen, den Beat in den Füßen und jenseits des Beats den Rhythmus zu spüren. Paps sah uns eine Weile zu, lehnte an der Theke und trank in großen Schlucken sein Bier.
    »Ihr Dussel«, sagte er. »Ihr seid nicht weiß, und ihr seid keine Puerto Ricaner. Schaut mal zu, wie ein Reinrassiger tanzt, schaut zu, wie wir im Getto tanzen.« Jedes Wort war über die Musik hinweggebrüllt, deshalb konnten wir nicht erkennen, ob er verrückt geworden war oder sich nur lustig machte.
    Er tanzte, und wir versuchten zu erkennen, was ihn von uns unterschied. Er schürzte die Lippen und legte eine Hand auf den Bauch. Der Ellbogen war angewinkelt, sein Rücken gerade, doch irgendwie steckte in jeder Bewegung Lockerheit und Freiheit und Selbstvertrauen. Wir versuchten, seine Füße zu beobachten, doch etwas an der Art, wie sie sich drehten und übereinander kreuzten, etwas an der Linie seines Körpers zog unseren Blick hinauf zu seinem Gesicht, seiner breiten Nase, den dunklen, halb geschlossenen Augen und den Lippen, die knurrten und lachten.
    »Das ist euer Erbe«, sagte er, so als könnten wir aus diesem Tanz etwas über seine eigene Kindheit erfahren, etwas über den Geschmack und den Schneid der Mietshäuser in Spanish Harlem, der Sozialbauten in Red Hook, der Tanzsäle, der Stadtparks, über seinen eigenen Paps, wie er ihn geschlagen hatte, wie er ihm das Tanzen beigebracht hatte, so als könnten wir in seinen Bewegungen Spanisch hören, als wäre Puerto Rico ein
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