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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Autoren: Annette Schaefer
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lebte. Eine Außenwand des Gebäudes war komplett eingestürzt. Wie in ein Puppenhaus konnte er von außen in die Wohnungen hineinschauen, auch in seine eigene im dritten Stock. Er sah die Regale mit seinen geliebten Büchern, Möbel, Lampen, die Bilder an den Wänden.
    Noch ein gutes Jahr später kann sich der Mittdreißiger genau an diese Minuten erinnern. Wir sitzen im Kölner Café Lichtenberg, wo wir uns zu einem Gespräch über die dramatischen Ereignisse verabredet haben. Hier treffen sich lässig gekleidete Großstädter, um einen Cappuccino zu trinken. Mit seinem Hemd in modischem Rosé, der prägnanten Brille und der edlen Armbanduhr passt Wiezorek gut hierher – was nicht heißen soll, das er irgendwie oberflächlich wirkte. Sein Gesicht ist sensibel, nachdenklich und verrät nur manchmal seine Emotionen. Als Filmregisseur ist er es gewohnt, Menschen und ihre Innenwelten genau zu beleuchten. Sein Kurzfilm Dienstag über das einsame Leben eines älteren Ehepaares wurde vor einigen Jahren beim Filmfestival München ausgezeichnet.
    Auch seine eigenen Erfahrungen scheint Wiezorek fast wie ein Außenstehender zu sezieren. Detailliert beschreibt er, was in ihm vorging, als er am Unglückstag abends am Rande des Kraters stand: »Es war irgendwie unwirklich. Meine Sachen waren alle noch da. Ich konnte sie sehen, aber ich kam nicht an sie heran, als wären sie in einer Zeitkapsel eingeschlossen.« Er sei ein häuslicher Mensch, sagt er, der sich gerne schön einrichtet und sich am liebsten mit ausgewählten Einzelstücken umgibt. »Mir kam es vor, als wäre mir mein Nest, meine Schutzhülle weggezogen. Ich fühlte mich verletzbar, irgendwie nackt. Es war ein sehr emotionaler Moment.«
    Doch der größte Schock stand ihm erst noch bevor. Am nächsten Tag wurde klar, das Wohnhaus musste abgerissen werden – ohne dass man den Besitz der Bewohner würde bergen können. Wiezoreks Hoffnung, sein Hausstand ließe sich schon irgendwie aus dem einsturzgefährdeten Gebäude herausschaffen, zerplatzte wie eine Seifenblase. In der Wohnung einer Freundin, bei der er untergekommen war, holte ihn die Verzweiflung ein. Er dachte an die Mutter, die tief traurig war, weil die Muschel, die schon so lange zur Familie gehörte, nun in einem Berg von Abbruchschutt verschwinden würde. Er dachte an die vielen hundert Bücher, die er mit Anmerkungen versehen hatte, und an die Rollen mit seinen Filmen, Ausdruck seiner kreativen Arbeit, in denen so viel Zeit, Energie und persönliche Erfahrungen steckten. »Es kam mir vor, als würde mit diesen Dingen auch ein Teil meiner Person untergehen.«
    Dann nahmen die Ereignisse eine weitere dramatische Wende. Man entschied: Ein einzelner Feuerwehrmann sollte das einsturzgefährdete Haus ein letztes Mal betreten und aus jeder Wohnung die wichtigsten Dinge bergen. Wiezorek wurde mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt und an den Unglücksort gebeten. Eine Stunde hatte er Zeit, um eine Liste mit zu bergenden Sachen (»Umfang circa zwei Einkaufswagen«) sowie eine Skizze mit den Standorten anzufertigen. Er brauchte nicht lange zu überlegen. Seit er drei Tage zuvor an der Einsturzstelle gestanden hatte, waren seine Gedanken nur um die eine Frage gekreist: »Welche Dinge werde ich am meisten vermissen?« Dazu gehörten natürlich die Filmrollen und andere berufliche Dinge. Aber auch Persönliches listete er auf: eine Armbanduhr, die er von Vater geschenkt bekommen hatte, einen kleinen Hund, der sein erstes Stofftier gewesen war, und natürlich die Muschel, seinen Glücksbringer, die auch für die Mutter so wichtig war.
    Dann stand er gemeinsam mit den Nachbarn Stunde um Stunde im nächtlichen Regen und sah zu, wie der Feuerwehrmann mit einer Drehleiter immer wieder nach oben gefahren wurde. In mehreren Touren holte er auch Wiezoreks Sachen. Die Zeit sei knapp gewesen, erinnert sich der Regisseur, denn man befürchtete, dass die Statik des Hauses bald nachgeben würde. Die Aufregung dieser Nacht scheint nun doch durch; mittlerweile hat seine Stimme eine deutlich emotionalere Färbung angenommen. Besonders eine Szene ist ihm im Gedächtnis geblieben. »Bevor der Rettungsmann zur nächsten Wohnung wechselte«, erzählt er, »ließ er mich den letzten Karton kontrollieren, ob nun alles zusammen war. Ich sah sofort: Die Muschel ist nicht dabei. Da zog der Feuerwehrmann sie aus der Tasche seiner Schutzweste, wo er sie sicher untergebracht hatte. Das war ein wahnsinniger Moment!«
    Bei einer zweiten
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