Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen
Autoren: Carsten Jensen
Vom Netzwerk:
schwergewichtige Müllerin Madame Weber mit einer Heugabel bereit und verlangte, mit in die Schlacht ziehen zu dürfen, und in der allgemeinen Verwirrung und vielleicht auch, weil sie imponierender daherkam als die meisten von uns Männern, öffneten wir ihr sofort unsere kriegslüsternen Reihen.
     
    Laurids, der ein empfindsames Gemüt hatte, wurde von dem allgemeinen Kampfgeist derart gepackt, dass er nach Hause lief, um eine Waffe zu holen. Karoline und die vier Kinder hatten sich vor Angst unter dem Esstisch der guten Stube versteckt, als er hereinstürmte und munter rief: «Kommt Kinder, jetzt geht’s in den Krieg!»
    Ein dumpfes Geräusch war zu hören, als Karoline mit dem Kopf an die Unterseite des Esstisches stieß. Mühsam kroch sie unter der Tischdecke hervor und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, wobei sie ihn völlig außer sich anschrie: «Bist du denn ganz von Sinnen, Madsen? Krieg ist nichts für Kinder!»
    Rasmus und Esben fingen an, auf und ab zu hüpfen.
    «Wir wollen mit! Wir wollen mit!», riefen sie im Chor. «Ach bitte, dürfen wir?»
    Und der kleine Albert rollte bereits die Kanonenkugel heran.

    «Seid ihr denn alle verrückt geworden?», schrie die Mutter und versetzte dem Nächststehenden eine Ohrfeige. «Seht zu, dass ihr wieder unter den Tisch kommt!»
    Laurids lief in die Küche, um sich eine geeignete Waffe zu besorgen, doch er fand nichts Brauchbares.
    «Wo ist denn die Bratpfanne?», rief er in die Stube.
    «Nicht die», schrie Karoline zurück. «Meine Bratpfanne fasst du nicht an.»
    «Na gut, dann nehm ich den Besen», teilte er mit und lief zurück in die Stube. «Jetzt kann sich der Deutsche aber auf etwas gefasst macht.»
    Sie hörten, wie die Haustür hinter ihm zufiel.
    «Hast du das gehört?», flüsterte Rasmus, der Älteste, Albert zu. «Vater hat nicht mal Amerikanisch geredet.»
    «Dieser Verrückte», erklärte die Mutter und schüttelte den Kopf in der Dunkelheit unter dem Esstisch, wohin sie wieder Zuflucht gesucht hatte. «Zieht mit einem Besen in den Krieg.»
     
    Allgemeiner Jubel brach los, als Laurids sich der kampfbereiten Truppe anschloss. Zwar stand er im Ruf, überheblich zu sein, doch er war groß und stark, und es konnte nicht schaden, ihn an der Seite zu haben. Dann fiel unser Blick auf den Besen.
    «Hast du keine andere Waffe?»
    «Für den Deutschen ist das gut genug», antwortete er und reckte den Besen in die Luft. «Damit fegen wir ihn aus dem Land.»
    Wir waren übermütig und lachten über seinen Witz.
    «Lasst ein paar Heugabeln zurück», sagte Lars Bødker. «Damit wir die Deutschen hinterher stapeln können, wenn sie alle tot sind.»
    Wir kamen hinaus aufs offene Feld. Bis Vejsnæs war es ein Marsch von einer halben Stunde, und wir schritten zügig aus, noch immer mit Angriffslust im Blut. Wir erreichten die Hügel bei Drejet und sahen, wie die Feuer über die Insel flammten, ein Anblick, der unsere Kampfbereitschaft nur noch anstachelte. Dann hörten wir Hufschlag in der Dunkelheit und erstarrten. Nun kam der Feind!
     
    Unsere Hoffnung war, die Deutschen am Strand zu überraschen, aber immerhin hatten wir noch das Terrain auf unserer Seite. Laurids stellte
sich mit dem Besen in Kampfpositur, und wir anderen taten es ihm gleich.
    «Wartet auf mich!», tönte es hinter uns.
    Es war der kleine Schreiner, der uns nachlief, nachdem er zu Hause sein Pulver geholt hatte.
    «Psst!», zischten wir. «Der Deutsche ist ganz in der Nähe.»
    Die Hufschläge kamen näher, und nun hörten wir, dass es sich um lediglich ein Pferd handelte. Ein Reiter tauchte aus der Dunkelheit auf. Laves Petersen hob seine Flinte und zielte, doch Laurids legte eine Hand auf den Gewehrlauf.
    «Das ist Kontrolleur Bülow», sagte er.
    Der Kontrolleur saß rittlings auf einem schweißtriefenden Pferd, dessen schwarze Flanken nach dem scharfen Ritt zitterten. Er hob die Hand.
    «Geht wieder nach Hause. Es gibt keine Deutschen bei Vejsnæs.»
    «Aber die Tonnen brennen doch!», rief Laves.
    «Ich habe mit der Strandwache gesprochen», sagte Bülow. «Es war falscher Alarm.»
    «Und wir sind aus unseren warmen Betten gejagt worden. Wofür? Für nichts!»
    Madame Weber verschränkte die Arme und sah sich mit einem missmutigen Blick unter uns um, als suchte sie jemanden, auf den sie sich nun stürzen konnte, da uns der Feind eine Abfuhr erteilt hatte.
    «Wir haben bewiesen, dass wir vorbereitet sind», sagte der Kontrolleur schlichtend, «aber am allerbesten wäre es doch,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher