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Winterreise

Winterreise

Titel: Winterreise
Autoren: Gerhard Roth
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überdrehten Augen, Lungen und Mägen lagen, stand eine junge Frau und übergoß das Fleisch mit Wasser. Anna blieb vor einem Blumenstand stehen, kaufte einen Strauß, der in Cellophanpapier eingewickelt war, und sah damit aus wie ein kleines Mädchen. Einer der dreirädrigen kleinen Lieferwagen verstellte Nagl die Sicht, dann sah er Anna wieder vor den Fischen, die Preisschilder lesen, die auf langen Stangen in den Tischen steckten.
7
    Er wollte das Meer sehen und den Vesuv, der von den Häusern verdeckt war, aber Anna überredete ihn, im nächsten Hotel ein Zimmer zu nehmen. Kaum hatte Nagl die Tür hinter sich geschlossen, als Anna sich vor ihn kniete und seine Hose öffnete. Er knöpfte ihre Bluse auf, holte ihre Brüste heraus, griff zwischen ihre Beine, befingerte die Schamlippen und ihren Kitzler und schob sein Glied in sie. Während sie sich liebten, legte er sich auf das Bett und sah zu, wie sein Schwanz in ihr verschwand und wieder herauskam. »Mach es langsamer«, flüsterte er. Sie war außer Atem, und er ließ sie sich umdrehen und steckte seinen Schwanz in ihren Hintern. Er preßte sie an sich, sie schrie, weinte, verstummte aber plötzlich und begann zu keuchen. Dann lagen sie stumm nebeneinander. Er erinnerte sich wieder an alles, was mit ihnen gewesen war, an sein Gefühl der Scham und Verzweiflung, seine Einsamkeit und das mächtige Gefühl der Sinnlosigkeit, das ihn begleitet hatte. Er hatte vorher nicht viel nachgedacht. Der Sinn war, daß ihn nichts aus der Bahn geworfen hatte. Oft war er an Abenden wach gelegen, hatte an Annas Umarmungen gedacht und sie begehrt. Auch als er die Frau des Gendarmen geliebt hatte, hatte er an sie gedacht. Auf dem Boden lagen die Kleidungsstücke und der Blumenstrauß in Cellophanpapier, und er spürte jetzt Annas Zunge, die ihm zärtlich den Nacken leckte.
8
    Vor dem Hotel saß ein Alter auf einem Sessel und blies Luft von einer Wange in die andere. Er blickte zu einem aluminiumfarbenen Zeppelin auf, der über den Häusern der Stadt schwebte. Als Kind hatte Nagl mit seinem Großvater einen Zeppelin gesehen. Der Großvater hatte ihn bis zu einer Absperrung geführt, hinter der der Zeppelin geruht hatte, wie ein narkotisiertes Ungeheuer. Taue hatten ihn an den Boden gefesselt, und wenn ein Windstoß kam, hatte er ruckartig geschaukelt, als wollte er sich losreißen. Als sie dann in einem Wirtshaus unter einem Kastanienbaum gesessen waren, hatte ihm sein Großvater zum ersten Mal erzählt, daß er zur See gefahren war, als Heizer. Er war ein kleiner untersetzter Mann gewesen mit einem steifen Hüftgelenk, weshalb er immer einen Spazierstock getragen hatte. Seine Haare hatte er nach rückwärts frisiert, über der Oberlippe hatte er einen gestutzten englischen Bart getragen. Er hatte von Ländern und Städten erzählt, von denen Nagl noch nie etwas gehört hatte: Algier, Kristiania, La Valetta, Palermo, und zu jeder dieser Städte hatte er Geschichten gewußt, die Nagl wunderbar vorkamen und ihn verwirrten. Sie waren in Graz in das Panoptikum gegangen, einen dunklen Raum mit Hockern vor schwarzen Holzwänden. In die Holzwände waren Sehlöcher eingelassen wie Operngucker, und Nagl hatte die bunten, ruckartig vorbeifahrenden Bilder mit großem Staunen gesehen. Sein Großvater saß neben ihm, und sobald eine Stadt auftauchte, die er kannte, erinnerte er ihn an eine Geschichte, die er ihm erzählt hatte. Die farbigen Bilder mit plastischer Tiefe hatte Nagl im Kopf behalten, beim Lesen an sie gedacht, an manche erinnerte er sich jetzt noch. Er blieb stehen und zeigte Anna den Zeppelin. Er kam ihm vor wie eine Botschaft aus einer Welt, in der es andere Gesetze gab, und dieser Zeppelin sagte, daß alles auf eine verschlungene Weise miteinander verbunden war.
     
    Ein Junge trug Kisten mit gelben und roten Tulpen und roten und blauen Anemonen vorbei. Auf dem Gehsteig neben einer Ziegelwand lag eine tote Ratte mit schlaffem, langem Schwanz und spitzen Zähnen. Sie waren an der Hafenmauer angelangt, standen vor einem Eisentor, dahinter lag ein mächtiges Gebäude. Über das Dach des Gebäudes ragte der weiße Schornstein eines Schiffes. Durch keine Lücke aber konnte Nagl das Meer sehen.
9
    Der Wind trieb ihnen Staub in die Augen. Die breite, leere, von hartem Sonnenlicht beschienene Via Nuova della Marina entlang zog sich auf einer Seite eine hohe Ziegelmauer, auf der anderen, vor dem Meer, erhoben sich hinter einer Betonmauer Lager und Verwaltungsgebäude. Sie gingen die
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