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Winterland

Winterland

Titel: Winterland
Autoren: Åke Edwardson
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klang anders, wenn Schnee lag.
    Im Schnee Spuren zu entdecken war leichter.
    In gefrorenem Gras war es schwerer.
    Das Telefon klingelte.
    Als er abnahm, dachte er an das Klingeln zu Hause bei Charlotte. Er hatte eine Geheimnummer. Er wusste, wer anrief.
    »Jetzt sag nicht, dass die Sonne scheint«, sagte er.
    »Sie ist grade untergegangen«, erwiderte Angela.
    »Ha!«
    »Was machst du, Erik?«
    »Denke an Schnee.«
    »Gibt es schon welchen?«
    »Nein, noch nicht. Wie ist es bei euch?«
    »Auch heute kein Schnee«, sagte Angela.
    »Wie geht es den Mädchen?«
    »Lilly hat heute die Füße ins Mittelmeer gehalten.«
    »Nächste Woche bin ich dran.«
    Er war auf dem Weg. In der nächsten Woche würde er am Strand von Puerto Banus stehen und dann mit Elsa auf dem einen Arm und mit Lilly auf dem anderen ins Wasser steigen.
    »Deine Mutter hat umgebaut«, sagte Angela. »Ein größerer Patio.«
    »Ist das dasselbe wie eine Terrasse?«
    »Keine Ahnung«, meinte Angela.
    »Hat sie alles selbst gemauert?«
    Angela lachte. Der Gedanke war absurd. Winter sah das weiße kleine Haus vor sich, und das Licht oben in Nueva Andalucía. Das Haus befand sich in einer Art skandinavischem Überwinterungsghetto, wie auf einer isolierten und geschützten Insel, aber das Licht war gut, und der Wind, und der Himmel war weit.
    »Angela?«
    »Ja?«
    »Wenn du einsam wärest, der einsamste Mensch der Welt, was würdest du dann machen?«
     
    Um drei Uhr morgens war Winter wieder in Charlottes Wohnung. Warum? Wartete er auf einen neuen Anruf auf dem roten Telefon? Wartete er auf eine Gestalt da unten auf dem Feld, auf dem Weg dorthin?
    Er wusste es nicht. Während er auf eine deutliche Antwort wartete, ging er sehr langsam die wenigen Schubladen durch, die Charlotte hatte, und alle Regalbretter in den Schränken der Wohnung. Diese Arbeit hatten zwar die Leute von der Spurensicherung schon geleistet, aber das spielte keine Rolle.
    Er leuchtete mit der Taschenlampe hinter das Porzellan in der Küche.
    Er fühlte über alle Fußbodenleisten.
    Nach fünfundvierzig Minuten fand er den dünnen Stapel Briefe, oder den Haufen steifer Papiere, die wie Briefe aussahen, ohne Kuvert. Eine niedrige Schwelle hatte sich bewegt, als er vorsichtig den Fuß darauf gesetzt hatte. Die Briefe lagen fest zusammengerollt wie eine Spule in der Furche.
     
    Die Briefe waren ihr Leben, Charlottes Leben. Die beiden ersten waren von einem Kind geschrieben. »Hallo, Tante und Onkel …« Hinter ihren Namen hatte sie ihr Alter geschrieben: »Charlotte 10«. Beide Briefe waren an »Tante und Onkel« gerichtet. Winter kannte die Tante und den Onkel nicht, noch nicht.
    Der nächste Brief war zwanzig Jahre später verfasst, er war datiert. Winter fand das erstaunlich, so als wäre das für ihn dorthin geschrieben worden, als hätte Charlotte gewusst, dass dieser Brief in einer Ermittlung gebraucht werden würde. Aber warum hatte sie ihn dann versteckt? Oder hatte das jemand anders getan?
    Winter las. Er begann mit dem letzten Satz: »Ich will nicht, dass du mir schreibst.« Im Brief stand kein Name.
    Er fand keine Briefe an Charlotte. In seiner Hand hielt er nur die Briefe von ihr.
    Er hielt sie hoch.
    Sie sahen nicht wie Kopien aus, wenn sie nicht alles von Hand kopiert hatte.
    Hatte sie an sich selbst Briefe geschrieben? Nein. Aber sie wollte ihre Worte an jemand anders bewahren. So musste es sein.
     
    »Es ist ihr jemand gefolgt«, sagte Ringmar.
    »Durch die Tür? Die Treppen hinauf?«
    Winter stand in seinem Büro und sah aus dem Fenster. Auch vor seinem Fenster gab es Gras, aber das war dicht und gehorsam und kurz, ein Streifen Gras hinunter zum Fluss Fattighusån, der im Vormittagslicht unbeweglich dalag. Die Häuser auf der anderen Seite waren Neubauten, die auf dem alten Armenhausfriedhof standen. Eine Straße glitt auf der anderen Seite des Kanals nach Westen. Sie schien es nicht eilig zu haben.
    »Er hat die Tür festgehalten, ehe sie zuschlug«, sagte Ringmar. »Klassischer Fall.«
    »Und wie ist er dann in die Wohnung gekommen?«, fragte Winter.
    »Geklingelt«, meinte Ringmar mit dem Anflug eines Lächelns. »Auch das ein klassischer Fall.«
    »An der Tür ist ein Spion«, gab Winter zu bedenken. »Sie hätte wohl kaum einem Fremden aufgemacht.«
    »Vielleicht war er kein Fremder«, sagte Ringmar.
    »Dann fällt deine Theorie aber in sich zusammen«, sagte Winter.
    »Ja, das tut sie«, sagte Ringmar und lächelte wieder sein leichtes Lächeln. Es war wie der
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