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Winterland

Winterland

Titel: Winterland
Autoren: Åke Edwardson
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heute Abend und heute Nacht jemanden haben, der auf das Telefon aufpasst«, sagte Winter.
     
    Als er nach Hause kam, war der Abend immer noch jung. Die Dunkelheit hielt sie alle zum Besten, die Dunkelheit und die Erschöpfung.
    Auch in seiner Wohnung war es dunkel. Er machte das Licht über dem Herd an und blieb am Küchentisch sitzen, das Fenster in den Abend geöffnet, der plötzlich klar und kalt geworden war. Er schauderte, stand auf, ging ins große Zimmer, das zum Vasaplatz hinausging, und goss sich einen Ardbeg ein. Jetzt wollte er nicht an etwas Sechzigprozentigem nippen, heute wollte er einen ordentlichen Schluck nehmen. Der Whisky schmeckte, wie das Feld vor Charlottes Wohnung schmecken musste, salziger Wind und schwarzes Gras und Torf, Rauch, Pfeffer und Teer. Winter schauderte wieder, als das alles in seine Eingeweide fiel. Gleich würde die Wärme kommen, innerhalb weniger Sekunden. Er setzte sich und kickte die Schuhe von den Füßen. Wenn ich nach Hause komme, trinke ich als Allererstes einen Whisky, hatte er sich vorgenommen. Und dann ziehe ich die Schuhe aus.
    Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. So war es früher gewesen, als er noch allein lebte, vor Angela und vor Elsa und der kleinen Lilly. Er war nach Hause gekommen und hatte in der Stille gesessen, und die Stille hatte ihn umschlossen. Am Ende hatte er sie nicht mehr bemerkt, sie war immer da, war ein Teil seiner selbst gewesen. Erst als andere Menschen in der Wohnung waren, hatte er bemerkt, dass die Stille fort war. Hatte er sie gern gemocht? Hätte er sie behalten wollen? Wollte er wieder dorthin? Nein. Nein, nein. Doch wenn er hier so saß, dann begrüßte er das Gefühl der Einsamkeit, die einsame Stille. Gerade jetzt am Abend brauchte er das. Er wollte darin denken, trinken und vielleicht hören.
    Das Klingeln seines Handys durchbrach die Stille.
    »Was glaubst du, wer das gewesen sein könnte?«, fragte Ringmar.
    Winter antwortete nicht, er atmete nur.
    »Jemand, der wusste, dass sie tot ist, oder jemand, der das nicht wusste?«, meinte Ringmar.
    »Hm.«
    »Also, wer ist es?«
    »Jemand, der mich dort hineingehen sah«, sagte Winter.
    »Hast du jemanden gesehen?«
    »Vielleicht. Ja. Nein. Ich weiß nicht.«
    »Verstehe«, meinte Ringmar, und Winter konnte sein Lächeln hören.
    »Er wollte was von mir«, sagte Winter nach einer kleinen Weile.
    »Was denn?«
    »Er … er wollte mir sagen, dass er wusste, dass ich da bin.«
    »Sprechen wir hier von dem Mörder?«, fragte Ringmar.
    »Von wem denn sonst, Bertil?«
    »Es gibt eine Sache mit unserer Charlotte, die mich nicht loslässt«, sagte Ringmar.
    »Was denn?«
    »Man hat den Eindruck, dass sie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt war. Keine Eltern, keine Geschwister, keine Verwandten, soweit wir wissen. Keine Arbeit. Nachbarn, die sich kaum an sie erinnern. Oder besser gesagt gar nicht erinnern. Und keine Freunde.«
    »Soweit wir wissen«, fügte Winter hinzu.
    »Aber einen Bekannten hatte sie«, meinte Ringmar. »Oder einen Freund.«
    »Der in den Stunden, bevor sie starb, bei ihr anrief. Oder direkt vorher.«
    »Der vielleicht noch mehr tat«, fügte Ringmar hinzu.
    Winter antwortete nicht.
    »Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr«, bemerkte Ringmar.
    »Eine Binsenweisheit.«
    »Passt hier aber gut«, sagte Ringmar.
    »Aber du hast Recht«, fuhr Winter fort. »Warum wird ein Mensch ermordet, der niemanden kennt?«
    »Versuchte sie vielleicht, Leute kennen zu lernen?«, fragte Ringmar.
    »Das wissen wir noch nicht«, meinte Winter.
    Sie taten, was sie konnten, um Charlottes Leben zu rekonstruieren. Hatte sie mit irgendjemand Kontakt aufgenommen? Wann? Wie? War sie kurz davor, Kontakt aufzunehmen? War irgendwo eine Kontaktanzeige geplant? Oder war bereits eine erschienen?
    »Es hat etwas mit der Vergangenheit zu tun«, sagte Ringmar.
    Ja. Ging es nicht immer um die Vergangenheit? Winter fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Die Vergangenheit warf ihre Schatten auf die Zukunft. Man konnte ihr nicht entkommen. Niemand. Man musste ernten, was man gesät hatte. Auch das war eine Binsenweisheit. Aber die passte in diesem Fall vielleicht nicht.
    Was war es, dem Charlotte Sander nicht hatte entkommen können?
     
    Der Abend sank herab. Auf dem Vasaplatz erstarben die Stimmen. Die Straßenbahnen ratterten nur noch in größeren Abständen vorbei. Es gab immer noch keinen Schnee. Ein schwarzer Winter war das. Der Schnee brachte wenigstens Licht und andere Laute. Alles
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