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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
Autoren: Jennifer McMahon
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Hund – überhaupt bei keinem Tier – habe ich jemals solche Treue erlebt. Seine Wunden waren verheilt, doch das Schrot hatte sein rechtes Auge verletzt, so dass es nun blind und milchig weiß war. Sein Geisterauge , wie Auntie es nannte.
    »Er war dem Tod so nahe, dass er mit einem Auge immer noch dort ist«, erklärte sie. Ich liebte Buckshot, hasste jedoch dieses milchweiße Mondauge, das alles und gleichzeitig nichts zu sehen schien.
    Auntie und ich waren nicht blutsverwandt, doch sie hatte sich meiner angenommen und mich großgezogen, nachdem meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war. Ich hatte keinerlei Erinnerungen an meine Mutter – die einzigen Beweise ihrer Existenz waren das Hochzeitsfoto meiner Eltern, die Erzählungen meiner älteren Geschwister und der von ihr genähte Quilt, unter dem ich Nacht für Nacht schlief.
    Mein Bruder sagte mir, dass ich das Lachen meiner Mutter geerbt hätte. Meine Schwester meinte, Mutter sei einst die beste Tänzerin im County gewesen, und alle Mädchen hätten sie beneidet.
    Aunties Familie kam aus dem Norden, aus Quebec. Ihr Vater war Fallensteller gewesen, ihre Mutter eine Inuit.
    Auntie hatte stets ein Jagdmesser bei sich und trug einen langen Mantel aus Rehfell, der mit bunten Perlen und Stachelschweinstacheln verziert war. Sie sprach Französisch und sang Lieder in einer Sprache, von der ich nie herausfand, welche es war. Am rechten Zeigefinger trug sie einen aus vergilbtem Bein geschnitzten Ring.
    »Was steht da?«, fragte ich sie einmal und berührte die eingeritzten Buchstaben und Symbole auf dem Ring.
    »Dass das Leben ein Kreis ist«, antwortete sie.
    Die Leute im Ort fürchteten sich vor Auntie, doch ihre Furcht hielt sie nicht davon ab, den ausgetretenen Pfad zu ihrer Waldhütte draußen hinter der Teufelshand hinaufzusteigen und ihr Geldmünzen, Honig und Whiskey zu bringen – was immer sich gegen ihre Arzneien eintauschen ließ. Auntie hatte Tropfen gegen die Kolik, Tee gegen Fieber, sogar ein kleines blaues Fläschchen, von dem sie schwor, es enthalte einen Trank, der so stark sei, dass ein einziger Tropfen davon einem Menschen jeden Herzenswunsch erfüllen könne. Ich besaß genug Verstand, nicht an ihren Worten zu zweifeln.
    Ich wusste noch einige andere Dinge über Auntie. Ich hatte gesehen, wie sie im Morgengrauen aus Papas Schlafzimmer geschlüpft war; hatte die Geräusche gehört, die durch seine verschlossene Tür drangen, wann immer sie ihn dort besuchte.
    Ich wusste auch, dass es nicht klug war, sie zu reizen. Sie besaß ein aufbrausendes Temperament und hatte wenig Nachsicht mit jenen, die anderer Meinung waren als sie. Weigerte sich ein Kunde, für ihre Dienste zu zahlen, ging sie zu seinem Haus, verstreute ein schwarzes Pulver aus einem ihrer vielen Ledersäckchen und sprach eine seltsame Formel, einen Fluch. Danach wurde seine Familie von schrecklichen Unglücksfällen heimgesucht: Krankheit, Feuer, Missernten, ja sogar Tod.
    Ich warf eine Handvoll dunkelgrüner Farntriebe in den Korb.
    »Auntie, bitte sag es mir«, bettelte ich. »Können die Toten zurückkehren?«
    Auntie sah mich lange an. Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt und die Blicke aus ihren kleinen dunklen Augen fest auf mich gerichtet.
    »Ja«, antwortete sie schließlich. »Es gibt einen Weg. Nur wenige sind mit ihm vertraut. Diejenigen, die das Geheimnis kennen, geben es an ihre Kinder weiter. Weil du für mich fast wie ein eigenes Kind bist, werde ich irgendwann einmal das Geheimnis an dich weitergeben. Ich werde alles niederschreiben, was ich über die Schlafenden weiß. Dann werde ich die Seiten zusammenfalten, sie in einen Umschlag stecken und ihn mit Wachs versiegeln. Du wirst ihn an einem sicheren Ort verwahren, und eines Tages, wenn du bereit bist, wirst du ihn öffnen.«
    »Wie soll ich denn wissen, ob ich bereit bin?«, fragte ich.
    Sie lächelte und entblößte dabei ihre kleinen Zähne, die spitz waren wie die eines Fuchses und braun vom Tabak. »Du wirst es wissen.«
    Ich schreibe diese Worte heimlich, unter der Bettdecke. Martin und Lucius glauben, dass ich schlafe. Ich höre sie unten Kaffee trinken und darüber reden, wie es um mich steht (nicht gut, fürchte ich).
    Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, wie alles anfing, habe die Einzelteile aneinandergefügt, so wie wenn man einen Quilt näht. Aber ach, was für ein hässlicher, verdorbener Quilt der meine wäre!
    »Gertie«, höre ich Martins Stimme über das Klappern seines Löffels hinweg, mit dem
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