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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don
Autoren: Tage der Toten
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widerstand er. Es wäre ihm
leichtgefallen, und er wusste es, aber er zog es vor, unter dem Radar
durchzutauchen. Die von der Polizei kamen, glaubten immer, dass ihnen die
Jungs von der Firma ins Handwerk pfuschten, also war es besser, sich bedeckt zu
halten.
    Mit anderen Worten, er ging das körperliche Training locker an, hielt sich
im Unterricht zurück und verpatzte den einen oder anderen Test. So kam er
durch, ohne zu glänzen. Ein bisschen schwerer fiel es ihm, bei der
Kampfausbildung im Hintergrund zu bleiben. Überwachungstechnik? Ein alter Hut.
Wanzen, versteckte Kameras? Die installierte er im Schlaf. Konspirative Treffen
und Übergaben, tote Briefkästen, Quellenführung, Verhörtechnik, Beschaffung
und Auswertung von Informationen? Diesen Kurs hätte er selbst unterrichten
können.
    Doch er hielt den Mund, wurde befördert und zum Special Agent der DEA ernannt. Er
kriegte zwei Wochen Urlaub, und ab ging's - nach Mexiko.
    Nach Culiacán, der Drehscheibe des amerikanischen Drogenhandels.
    Der Hochburg des Opiums.
    Dem Bauch der Bestie.
    Sein neuer Chef bereitete ihm einen freundlichen Empfang. Tim Taylor hatte
sich Kellers Akte schon bringen lassen und war bestens im Bilde. Er blickte
nicht mal von seiner Lektüre auf. Keller saß ihm am Schreibtisch gegenüber, und
Taylor fragte: »Vietnam?«
    »Ja.«
    »Beim beschleunigten Befriedungsprogramm.«
    »Ja.« Beschleunigtes Befriedungsprogramm alias Operation Phoenix,
verbunden mit dem alten Witz, dass da eine Menge Jungs sehr schnell sehr
befriedet wurden - für immer.
    »CIA«, sagte Taylor. Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Feststellung oder Frage, Keller reagierte nicht darauf. Taylor kam aus der
alten Drogenbehörde BNDD und hatte lange unter ihrer chronischen
Unterfinanzierung leiden müssen. Jetzt, wo Drogen wieder höchste Priorität
hatten, wollte er seinen sauer verdienten Status nicht an irgendwelche Neulinge
abtreten.
    »Wissen Sie, was ich nicht mag an euch Company Cowboys?«, fragte Taylor.
    »Nein, was?«
    »Ihr seid keine Cops«, sagte Taylor, »ihr seid Killer.«
    Fick dich, dachte Keller. Aber er hielt den Mund. Er kniff ihn fest zu,
während ihn Taylor darüber belehrte, dass er keinen Cowboy-Scheiß wolle,
sondern dass sie ein »Team« seien und Keller gut daran täte, als »Teamplayer«
aufzutreten und sich immer schön an die Regeln zu halten.
    Keller wäre mit Kusshand ein Teamplayer geworden, wenn ihn das Team
gelassen hätte. Nicht dass ihn das allzu sehr juckte. Wer im Barrio groß wird, als
Sohn eines amerikanischen Vaters und einer mexikanischen Mutter, für den gibt
es kein Team.
    Kellers Vater, ein Geschäftsmann aus San Diego, hatte beim Urlaub in Mazatlán ein
mexikanisches Mädchen geschwängert. (Wenn schon nicht geboren, so bin ich
wenigstens in Sinaloa entstanden, sagt sich Keller gelegentlich.) Keller
senior besaß immerhin den Anstand, das Mädchen zu heiraten, was ihm kein allzu
großes Opfer abverlangte, denn sie war von aufreizender Schönheit - und sein
gutes Aussehen hat Keller von ihr geerbt. Sein Vater nahm sie also mit in die
USA - um festzustellen, dass es sich mit ihr genauso verhielt wie mit vielen
anderen Souvenirs, die man aus Mexiko mitbringt: Im Mondschein von Mazatlán war sie ihm
bedeutend verlockender vorgekommen als im kalten Licht des amerikanischen
Alltags.
    Die Trennung kam, als der kleine Arthur ein Jahr alt war. Da sie den
großen Vorteil, den ihr Sohn genoss, die amerikanische Staatsbürgerschaft,
nicht preisgeben wollte, zog sie zu entfernten Verwandten ins Barrio Logan. Art
Keller wusste, wer sein Vater war. Manchmal setzte er sich in den kleinen Park
an der Crosby Street, blickte zu den gläsernen Hochhäusern hinüber und stellte
sich vor, einmal dorthin zu gehen und seinen Vater zu besuchen.
    Aber er tat es nicht.
    Keller senior schickte Schecks - erst regelmäßig, dann nur noch sporadisch
-, gelegentlich wurde er auch von Vatergefühlen und Gewissensbissen heimgesucht
und ging mit Art ins Restaurant oder zum Baseball. Doch die Treffen verliefen
in einer gezwungenen, beklommenen Atmosphäre, und als Art in die Mittelschule
kam, hörten sie ganz auf.
    Auch das Geld blieb aus.
    Daher war es keine leichte Sache für den Siebzehnjährigen, als er
schließlich doch nach Downtown fuhr, einen der Glastürme betrat und zum Büro
seines Vaters vordrang, ihm sein glänzendes Eignungszeugnis und die Zulassung
zum Studium an der UCLA auf den Schreibtisch legte und sagte: »Fall nicht vom
Hocker.
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